Ganz aus Gnaden/Die Furcht, wieder abzufallen
Aus Biblische Bücher und Predigten
Aktuelle Version vom 24. August 2009, 16:21 Uhr
Von Charles H. Spurgeon
Über Konversion
Kapitel 17 des Buches Ganz aus Gnaden
Übersetzung von Oncken Verlag/Helmut Pohl
Viele Menschen, die zu Christus kommen, leben beständig in der Furcht davor, dass sie nicht bis ans Ende durchhalten. Ich habe einen Suchenden sagen hören: „Wenn ich mich auch Jesus ganz anvertraue, vielleicht werde ich trotzdem wieder ins Verderben zurückgezogen. Ich habe auch früher schon unter guten Einflüssen gestanden, aber sie setzten sich nicht durch. Das Gute in mir war wie eine Wolke am Morgenhimmel und wie der Frühtau. Plötzlich kam es über mich, dauerte für eine Weile, war vielversprechend und dann schon wieder verschwunden.“ Lieber Leser, ich glaube, dass die Furcht oftmals Schuld daran ist, dass die Befürchtungen auch tatsächlich eintreffen. Ich glaube, dass manche, die davor zurückschreckten, sich Christus für alle Zeit und für alle Ewigkeit anzuvertrauen, versagten, weil sie nur einen Glauben auf Zeit hatten, der niemals ausreicht, um sie zu erretten. Sie fingen an, Jesus bis zu einem gewissen Grade zu vertrauen, aber sie erwarteten Ausdauer und Beharrlichkeit auf dem Wege zum Himmel von sich selber. Sie hatten also einen falschen Start und kehrten, wie es nicht anders zu erwarten war, nach kurzer Zeit wieder um. Wenn wir unser Vertrauen auf uns selber setzen, werden wir nicht durchhalten. Selbst dann, wenn wir einen Teil unseres Heils von Jesus erwarten, werden wir versagen, solange wir uns irgend etwas selber zutrauen. Keine Kette ist stärker als ihr schwächstes Glied. Ist Jesus unsere Hoffnung in allen Stücken, abgesehen von einem, so wird uns alles misslingen, weil wir an diesem einen Punkt scheitern werden. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass die falsche Einschätzung der Ausdauer der Heiligen viele verhindert hat durchzuhalten, die einst „fein liefen“ (Galater 5, 7). Was hinderte sie, den Lauf fortzusetzen? Sie setzten ihr Vertrauen auf sich selber und hielten deshalb nicht, durch. Hüte dich davor, auch nur ein wenig von deinem Ich in den Mörtel zu mischen, mit dem du baust, sonst wird es loser Sand werden, der die Steine nicht bindet! Wenn du zu Beginn auf Christus vertraust, so hüte dich davor, am Ende dir selber zu vertrauen! Er ist das A, sieh zu, dass du ihn auch zum O machst (vgl. Offenbarung 22, 13)! Wenn du im Geist begonnen hast, so glaube nicht, es im Fleisch vollenden zu können. Beginne so, wie du weitergehen willst, und gehe weiter, wie du begonnen hast, und lass den Herrn alles in allem sein! dass doch Gott, der Heilige Geist, uns ganz klare Vorstellungen davon geben möge, woher die Kraft kommen muss, die uns bewahrt bis auf den Tag der Erscheinung unseres Herrn! Lies, was Paulus einst darüber sagte, als er an die Korinther schrieb: Unser Herr Jesus Christus „wird euch festhalten bis ans Ende, dass ihr unsträflich seid auf den Tag unseres Herrn Jesu Christi. Denn Gott ist treu, durch welchen ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesu Christi, unseres Herrn“ (1. Korinther 1, 8 f.). Mit diesen Worten setzt Paulus stillschweigend eine große Not voraus, indem er uns sagt, wie dafür gesorgt wird. Immer, wenn der Herr eine Vorkehrung trifft, dürfen wir sicher sein, dass auch eine Notwendigkeit vorliegt, da der Bund der Gnade nicht durch Überflüssiges beschwert wird. In den Höfen Salomons hingen goldene Schilde, die niemals gebraucht wurden; so etwas gibt es nicht in der Rüstkammer Gottes. Was Gott vorgesehen hat, das werden wir sicherlich auch brauchen. Zwischen dieser Stunde und der Vollendung aller Dinge wird sich jede Verheißung Gottes und jede Vorkehrung des Bundes der Gnade als notwendig erweisen. Was dem Gläubigen dringend Not tut, ist Festigung, Ausdauer, Beharrlichkeit, Bewahrung bis ans Ende. Das alles haben auch die fortgeschrittensten Gläubigen außerordentlich nötig, denn Paulus schrieb an die Heiligen zu Korinth, an Menschen von hohem geistlichem Rang, von denen er sagen konnte: „Ich danke meinem Gott allezeit eurethalben für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Jesus Christus“ (1. Korinther 1, 4). Gerade solche Menschen wissen, dass sie täglich neuer Gnade bedürfen, wenn sie durchhalten, aushalten und schließlich als Sieger ans Ziel gelangen wollen. Wenn du kein Heiliger wärst, so hättest du keine Gnade und würdest die Notwendigkeit vermehrter Gnade nicht spüren; aber weil du ein Mann Gottes bist, sind dir die täglichen Erfordernisse des geistlichen Lebens bewusst. Eine Marmorstatue kommt ohne Nahrung aus; aber ein lebendiger Mensch hungert, dürstet und freut sich, dass ihm sein Brot und Wasser gewiß sind; sonst würde er sicherlich auf der Strecke bleiben. Die persönlichen Bedürfnisse zwingen den Gläubigen dazu, täglich aus dem großen Vorrat zu schöpfen. Was sollte er tun, wenn er nicht Zuflucht nehmen könnte bei Gott? Das trifft auch auf die begabtesten Heiligen zu — auf jene Korinther, die reich waren an Ausdrucksmöglichkeiten und Erkenntnis. Sie mussten bis ans Ende festgehalten werden, sonst hätten sich ihre Gaben und Vorzüge als ihr Verderben erwiesen. Wenn wir Menschen- und Engelszungen hätten, aber nicht immer aufs neue Gnade empfingen, wo wären wir dann? Wenn wir alle Erfahrung besäßen, bis wir Väter und Älteste in der Gemeinde wären; wenn wir von Gott selber gelehrt wären, so dass wir alle Geheimnisse verstünden — dennoch könnten wir nicht einen einzigen Tag leben ohne das göttliche Leben, das uns vom Haupt des Bundes zuströmt. Wie könnten wir eine einzige Stunde, geschweige denn ein Leben lang, hoffen durchzuhalten, wenn der Herr uns nicht festhielte? Er, der das gute Werk in uns angefangen hat, muss es auch in uns vollenden bis auf den Tag Christi, oder es wird ein schmerzlicher Fehlschlag daraus. Diese große Notwendigkeit entsteht zum großen Teil in uns selber. Manche fürchten mit Schmerzen, dass sie nicht in der Gnade beharren, weil sie ihre Wankelmütigkeit kennen. Manche Menschen sind von Natur aus schwankend. Andere sind von Natur aus konservativ, um nicht zu sagen hartnäckig; andere sind charakterlich schwankend und unbeständig. Gleich Schmetterlingen flattern sie von Blume zu Blume und suchen alle Schönheiten des Gartens auf, ohne sich endgültig niederzulassen. Sie bleiben niemals lange genug an einer Stelle, um etwas Gutes auszurichten; weder in ihrem Beruf noch in ihren geistigen Bestrebungen. Solche Menschen können mit Recht befürchten, dass zehn, zwanzig, dreißig, vierzig und vielleicht fünfzig Jahre beständiger religiöser Wachsamkeit eine Überforderung für sie sind. Wir kennen Leute, die sich erst der einen Gemeinde und dann der anderen anschließen, bis sie schließlich die Richtung verloren haben und resignieren. Sie probieren alles aus und halten niemals durch. Sie haben es doppelt nötig, zu beten, dass Gott sie festigt und nicht nur standhaft, sondern unbeweglich macht, wenn von ihnen gelten soll, dass sie „immer zunehmen in dem Werk des Herrn“ (1. Korinther 15, 58). Wir alle, selbst wenn wir nicht von Natur aus anfällig sind für Flatterhaftigkeit, fühlen notwendigerweise unsere Schwäche, wenn wir wirklich lebendig gemacht worden sind von Gott. Lieber Leser, bringt dir nicht jeder einzelne Tag genug, worüber du zu Fall kommst? Du, der du, wie ich hoffe, in vollkommener Heiligkeit leben möchtest; du, der du dir einen hohen Maßstab für das gewählt hast, was ein Christ sein soll — findest du nicht, dass du, noch ehe das Frühstück vom Tisch abgeräumt ist, genug Torheit bewiesen hast, um dich über dich selbst zu schämen? Wenn wir uns in der einsamen Zelle eines Einsiedlers verschlössen, —— die Versuchung würde uns dorthin folgen; denn solange wir uns nicht selber entrinnen können, werden wir auch den Reizen der Sünde nicht entfliehen. Es ist etwas in unserem Herzen, das uns wachsam und demütig vor Gott machen sollte. Wenn er uns nicht festigt, sind wir so schwach, dass wir straucheln und fallen werden, nicht durch einen Feind, sondern durch unsere eigne Sorglosigkeit. Herr, sei du unsere Stärke; wir sind die Schwachheit selber! Außerdem ist da die Müdigkeit, die von einem langen Leben herrührt. Wenn wir unseren Christenlauf beginnen, fahren wir auf mit Flügeln wie ein Adler; später laufen wir ohne Ermüdung; in unseren besten Tagen wandeln wir, ohne kraftlos zu werden. Unser Schritt scheint langsamer zu sein, aber er ist fester und anderen mehr zu Diensten. Ich bitte Gott, dass uns die Energie unserer Jugend erhalten bleibt, soweit es sich um die Energie des Geistes handelt und nicht nur um menschliche Unternehmungslust. Wer schon lange auf dem Weg zum Himmel ist, findet, dass ihm mit gutem Grund verheißen ist, dass seine „Schuhe aus Eisen und Erz“ sein sollen; denn der Weg ist rauh. Er hat entdeckt, dass es „Hügel der Schwierigkeiten“ und „Täler der Demütigung“ gibt, dass ein „Tal des Todesschattens“ da ist, und noch schlimmer, ein „Markt der Eitelkeit“ — und durch all das muß er hindurch. „Wenn Berge der Ergötzung“ da sind (und, Gott sei Dank, es gibt sie), so sind auch „Schlösser der Verzweiflung“ vorhanden, die der Pilger nur allzu oft von innen gesehen hat. Wenn man all das bedenkt, kommt man zu dem Schluss: Die auf dem Weg der Heiligung bis zum Ende durchhalten, werden Menschen sein, über die man staunt. (Die Anspielungen in diesem Absatz beziehen sich auf J. Bunyans „Pilgerreise“.) „O Welt der Wunder, ich kann nicht weniger sagen!“ Den Tagen eines Christenlebens entsprechen ebenso viele Diamanten der Gnade, die auf die goldene Schnur göttlicher Treue gezogen sind. Im Himmel werden wir den Engeln, Fürstentümern und Gewalten die unerforschlichen Reichtümer Christi erzählen, die uns verliehen wurden und die wir genossen haben, während wir auf Erden waren. Am Rande des Todes sind wir am Leben erhalten worden. Unser geistliches Leben ist wie eine Flamme gewesen, die mitten auf dem Ozean brannte, wie ein Stein, der in der Luft schwebend gehalten wurde. Das Universum wird staunend sehen, wie wir am Tage unseres Herrn Jesus Christus unsträflich durch das Perlentor eingehen werden. Wir sollten staunen und dankbar sein, wenn wir auch nur eine Stunde lang bewahrt bleiben; und ich hoffe, wir sind es. Wenn dies alles wäre, so wäre immer noch genug Ursache zur Besorgnis da; aber es ist viel mehr vorhanden. Wir sollten daran denken, an was für einem Ort wir leben. Für viele unter dem Volk Gottes ist die Welt eine Wüste, in der die Schakale heulen. Einigen von uns ist es nach Gottes Fügung gut gegangen, aber andere haben einen schweren Kampf. Wir beginnen unseren Tag mit Gebet, und wir hören oft fromme Choräle in unseren Häusern. Aber wie viele fromme Menschen stehen am Morgen kaum von ihrem Gebet auf, da werden sie schon mit Lästerungen und Spott begrüßt. Sie gehen an die Arbeit und werden den ganzen Tag über mit schmutzigen Gesprächen belästigt wie der gerechte Lot in Sodom (vgl. 1. Mose 19). Können wir heute die Straße passieren, ohne dass böse Stimmen an unser Ohr klingen oder ohne dass unsere Augen beleidigt werden? Die Welt ist kein Freund der Gnade. Das Beste, was wir in dieser Welt tun können, ist, so schnell wie möglich hindurch zugehen, denn wir wohnen in Feindesland. Hinter jedem Busch lauert ein Räuber. Überall müssen wir mit gezogenem Schwert in der Hand wandern oder wenigstens die Waffe, die „stetes Gebet“ genannt wird, beständig an unserer Seite tragen, denn wir haben um jeden Zollbreit unseres Weges zu kämpfen Täusche dich darüber nicht, sonst wirst du sehr rauh aus deiner sanften Träumen aufgeschreckt werden! O Gott, hilf uns und halte uns fest bis ans Ende! Wie können wir sonst bestehen? Wahrer Glaube ist übernatürlich zu Beginn, übernatürlich in seinem Fortgang und übernatürlich am Schluss. Er ist ganz und gar Gottes Werk. Es ist sehr notwendig, dass die Hand des Herrn immer noch ausgestreckt ist. Sicher spürst du es, und ich freue mich, dass es dir bewußt ist, denn nun wirst du deine Bewahrung vom Herrn erwarten, der allein uns vor dem Fall bewahren und uns mit seinem Sohn verklären kann.