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English: Our Father

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Von R.C. Sproul Über Gebet
Teil der Article-Serie

Übersetzung von Thomas Menz


Meine erste Unterrichtsstunde an der Freien Universität Amsterdam erschütterte meine akademische Selbstgefälligkeit. Es war ein Kulturschock, ein Paradebeispiel für Gegensätze. Es begann in dem Moment, als der Professor, Dr. G.C. Berkouwer, den Raum betrat. Bei seiner Erscheinung erhoben sich alle Studenten aufmerksam von ihren Stühlen, bis er die Stufen zum Podium erklommen, sein Notizbuch geöffnet und den Studenten durch ein Kopfnicken bedeutet hatte, sich zu setzen. Dann begann er mit seinem Vortrag, und die Studenten lauschten pflichtbewusst in heiligem Schweigen und schrieben ihre Notizen nieder. Niemand wagte es sich herauszunehmen, den Meister durch das Heben der Hand zu unterbrechen oder abzulenken. Der Unterricht wurde von einer einzigen Stimme dominiert – jener Stimme, der wir alle aufmerksam zuhörten.

Als der Unterricht zu Ende war, schloss der Professor sein Notizbuch, bevor er das Podium hinunter ging und hastig den Raum verließ, wobei sich die Studenten zuvor nochmals ehrerbietig von ihren Stühlen erhoben. Es gab keinen Dialog, keine Gesprächstermine für die Studenten, keine Quatscherei. Niemals sprach ein Student jemals den Professor an – mit Ausnahme der privat geplanten, mündlichen Prüfungen.

Meine erste Prüfung dieser Art war eine Lehrstunde in Sachen Angst. Ich ging zum Haus des Professors in Erwartung einer Tortur. Aber so streng die Prüfung auch war, sie war keine Tortur. Dr. Berkouwer war warmherzig und freundlich. In onkelhafter Manier erkundigte er sich nach meiner Familie. Er zeigte sich sehr besorgt um mein Wohlergehen und forderte mich auf ihm Fragen zu stellen.

In gewissem Sinne war dies ein Vorgeschmack auf den Himmel. Professor Berkouwer war natürlich sterblich. Aber er war ein Mann von gigantischem Intellekt und einem unvorstellbaren umfassenden Wissen. Ich war nicht bei ihm zu Hause, um ihn zu unterweisen oder mit ihm zu debattieren – ich war der Student und er war der Meister. Es gab eigentlich nichts im Bereich der Theologie, dass er von mir hätte lernen können. Und doch hörte er mir jetzt zu, als wenn er wirklich etwas von mit lernen könnte. Er nahm die Antworten auf seine bohrenden Fragen ernst. Es war, als würde ein Sohn von seinem treusorgenden Vater gefragt.

Dieses Ereignis ist die beste menschliche Analogie, mit der ich aufwarten kann, um die Jahrhunderte alte Frage zu beantworten: „Wenn Gott souverän ist, warum sollen wir dann noch beten?“ Jedoch muss ich gestehen, dass dieses Beispiel hinkt. Obwohl Berkouwer mir mit seinem Wissen turmhoch überlegen war, so war sein Wissen doch endlich und begrenzt. Er war in keinem Falle allwissend.

Wenn ich im Gegensatz dazu mit Gott rede, dann spreche ich nicht nur mit einem großen Professor im Himmel. Ich rede mit jenem, der all das Wissen besitzt, jenem, der keinesfalls etwas von mir lernen kann, das Er nicht schon bereits wüsste. Er weiß alles, was es zu wissen gibt, einschließlich dessen, was in meinen Gedanken vorgeht. Er weiß, was ich Ihm sagen werde, bevor ich es ausspreche. Er weiß, was Er tun wird, bevor Er es vollbringt. Sein Wissen ist souverän, und Er ist souverän. Sein Wissen ist perfekt und unveränderlich.

Obwohl sich die Bibel beizeiten ein wenig schwer damit tut der Idee Ausdruck zu verleihen, dass Gott Seine Ansicht ändert, dass Er nachgibt oder Seine Pläne bereut, erinnert sie uns andererseits doch daran, dass diese menschliche Ausdrucksform gerade das ist, und dass Gott kein Mensch ist, dass Er bereuen müsste. In Ihm ist kein Schatten einer Veränderung. Sein Rat ist ewig. Bei Ihm gibt es keinen Plan B. Ein Plan B bezieht sich auf unvorhergesehene Ereignisse, Gott jedoch kennt alle unvorhergesehenen Ereignisse, und Er selbst kennt nichts Unvorhergesehenes.

Manche Leute fragen: „Verändert Gebet das Herz Gottes?” Um eine solche Frage zu stellen, müssen wir sie beantworten. Welche Art von Gott könnte durch meine Gebete beeinflusst werden? Was könnten meine Gebete tun, um ihn dazu zu bewegen, Seine Pläne zu ändern? Könnte ich Gott möglicherweise irgendeine Information über irgendetwas geben, die Er nicht schon längst hat? Oder könnte ich Ihn durch meine überlegene Weisheit zu einem noch vorzüglicheren Weg überreden? Natürlich nicht. Ich bin absolut unqualifiziert, um Gottes Mentor oder führender Ratgeber zu sein. Also lautet die einfache Antwort, dass Gebet nicht das Herz Gottes verändert.

Nehmen wir aber einmal an, wir stellen die Frage nach der Beziehung zwischen Gottes Souveränität und unseren Gebeten in einer etwas anderen Weise: „Verändert Gebet Dinge und Umstände?“ Die Antwort darauf ist ein ausdrückliches „Ja!“ Die Bibel lehrt uns, dass „das des Gerechten Gebet viel vermag, wenn es ernstlich ist“ (Jakobus 5, 16). Dieser Text versichert, dass Gebet etwas bewirkt. Es ist keine sinnlose, fromme Übung. Etwas Sinnloses bewirkt nichts. Gebet jedoch vermag viel zu bewirken. Und das, was viel bewirkt, ist niemals sinnlos.

Was bewirkt Gebet? Was ändert es? Zuallererst verändern meine Gebete mich. Der Zweck des Gebetes ist nicht, Gott zu verändern. Er verändert sich nicht, da Er keine Änderung benötigt. Aber ich benötige sie. So wie die Fragen Dr. Berkouwers nicht zu seinem Vorteil, sondern zu meinem Nutzen waren, so dient meine Zeit mit Gott meiner Erbauung, nicht Seiner. Das Gebet ist eines der größten Vorrechte, das uns bei unserer Rechtfertigung mitgegeben wurde. Eine Folge unserer Rechtfertigung ist, dass wir Zugang zu Gott haben. Wir wurden in Seine Familie hinein adoptiert, und wir haben das Recht Ihn als Vater anzusprechen. Wir werden ermuntert mutig in Seine Gegenwart zu treten. (Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen Mut und Arroganz).

Gebet jedoch kann auch Dinge ändern. Praktisch ausgedrückt sagen wir, dass Gebet funktioniert. Es ist deswegen effektiv, weil es Auswirkungen nach sich zieht. In der Theologie unterscheiden wir zwischen Ursache und Wirkung. Die Ursache ist die Kraftquelle aller Dinge. Wenn die Bibel sagt, dass „wir in Ihm leben und weben und sind“ (Apg. 17: 28), dann zeigt dies an, dass wir ohne Gottes erhaltende Vorsehung keine Kraft hätten, um zu leben, uns zu bewegen oder zu existieren. Alle unsere Kraft ist nur zweitrangig. Die letztliche Wirksamkeit hängt immer von Gott ab. Ja, es ist wirklich wahr. Gebet ist eines der Mittel, die Gott gebraucht, um alles zu dem Ziel zu bringen, das Er bestimmt. Das bedeutet, dass Gott nicht nur das Ziel bestimmt, sondern Er bestimmt auch die Mittel, die Er verwendet, um uns zu diesem Ende zu bringen.

Gott benötigt nicht unsere Predigten, um Sein Volk zu retten. Dennoch hat Er sich entschieden, durch unsere Predigten zu wirken. Er bevollmächtigt unsere menschlichen Predigten mit Seiner eigenen Macht. In gleicher Weise hat Er sich dazu entschlossen durch unsere Gebete zu wirken. Er bevollmächtigt unsere Gebete, sodass wir nach unseren Gebeten zurücktreten und zusehen können, wie Er seine Macht in und durch unsere Gebete freisetzt.

Wir beten erwartungsvoll und zuversichtlich, nicht trotz der Souveränität Gottes, sondern wegen ihr. Nur das Beten zu einem Gott, der nicht souverän ist, wäre eine Verschwendung von Zeit und Atem.