Wenn Sünder sich das „Ja-Wort“ geben/Hartnäckige Gnade
Aus Biblische Bücher und Predigten
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Kraft für den gemeinsamen Dauerlauf
Ich bin wohl zu sehr Mann, um Jane Austen[1] zu lesen. Ich weiß, Frauen verstehen diese Aussage gewöhnlich als „ich bin nicht klug genug, Jane Austen zu verstehen“, und möglicherweise haben sie damit auch ein bisschen recht. Aber selbst wenn nun Typen wie ich wirklich nicht kapieren, worauf sie hinaus will, so muss ich doch jedem Autor Respekt zollen, der es schafft, ohne besonderen Knüller die ungeteilte Aufmerksamkeit des Publikums zu bekommen. Deshalb bin ich aber immer noch zu sehr Mann, um Jane Austen zu lesen.
In einem Anflug göttlichen Humors hat Gott mir eine Ehefrau und zwei Töchter gegeben, die alles begeistert lesen, was Austen geschrieben hat. Ich jedenfalls habe keine Ader dafür und kann auch nicht nachvollziehen, was an ihren Werken dran ist, zumal der Handlungsfaden doch immer so ziemlich derselbe ist. Der einzige Unterschied, den ich ausfindig machen kann, ist der Name des Herrschaftshauses.
Für den Fall, dass du noch nie einen Roman von Austen gelesen oder eine der Filmbearbeitungen gesehen hast, möchte ich dir etwas Zeit ersparen. Die Handlung läuft immer in etwa so: Man beginne mit einer unverheirateten, etwas besorgten Frau im England des späten 18. Jahrhunderts, deren Mutter noch besorgter ist als sie selbst. Dann lasse man einen ahnungslosen Mann erscheinen, ebenfalls reich und aus unerklärlichem Grund noch Single, dem nicht bewusst ist, dass er diese temperamentvolle unverheiratete Dame braucht, um ihn normal zu machen. Dem füge man einige andere exzentrische Charaktere, herausgeputzte Garderobe, einen sehr förmlichen Anlass und jede Menge englische Landschaft hinzu. Setze das Ganze am Ende zu einer berauschend glücklichen Hochzeit zusammen, bei der man absolut den Eindruck vermittelt bekommt, dass dieses Paar niemals etwas anderes kennen wird als harmonische, eheliche Glückseligkeit. Denke dir einen guten Abspann aus, und lass zur Begleitung auch noch die Violinen spielen. So in etwa laufen die Romane von Jane Austen ab.
Warum eigentlich geschieht bei ihr nach der Hochzeit nichts mehr? Wie wäre es mit Fortsetzungen? Ich könnte mir einige nachhochzeitliche Austen-Geschichten etwa dieser Art gut vorstellen:
Sinn und Sinnlichkeit, Teil 2 – Ich vermisse meine Mutter
Stolz und Vorurteil – Die Fortsetzung: Auftritt der Jagdgefährten Darcys
Emma kehrt zurück: Der Ehestifter schlägt wieder zu
Ich weiß … sehr unwahrscheinlich. Deshalb ziehe ich Männerfilme vor. Die enden alle zu einem besseren Zeitpunkt – normalerweise, wenn jemand stirbt. Ein Western endet niemals, bevor nicht die beiden Hauptdarsteller die Straße hinunterreiten, mit blitzenden Revolvern der Sonne entgegen. Kriegsfilme enden auch nicht, wenn die Bombenattacke gerade erst begonnen hat. Und TV-Sportreportagen bleiben so lange dran, bis man weiß, wie das große Spiel ausgegangen ist. Jane-Austen-Filme enden leider immer am Altar, genau dann, wenn das reale Leben eigentlich erst beginnen soll. Ich verstehe das nicht.
Nein – ich verstehe es doch. Denn es geht hier doch nur um romantische Filme. Sie erzählen davon, wie die romantische Liebe dich gleich einem schwindelerregenden Tornado wirbelnd hochhebt und dich wunderschön gekleidet direkt an der Kirchentür wieder absetzt. Wohin der Wirbelsturm danach weiterzieht, scheint keinen Menschen zu interessieren. Gibt es bei literarischen Künstlern denn kein Leben nach dem hochzeitlichen Ja-Wort? Wohl nicht, denn Liebesfilme mit einem verheirateten Paar sind doch wirklich selten.
Vor diesem Hintergrund wird der Leser gewiss erwarten, dass ich nun mit einem Exkurs darüber beginne, wie sich ein verheiratetes Paar die anfängliche Romantik auch im Alltag erhalten kann. Das wäre in der Tat ein gutes Thema, das mir so wichtig ist, dass ich dich bitte, die folgende Fußnote zu lesen, die einiges an ausgezeichnetem Material über eheliche Romantik auflistet.[2]) Ich habe im Moment jedoch eine andere Absicht; ich möchte noch einmal ein Wort betrachten, das dich zu Glauben und Hoffnung inspirieren kann, nachdem sich Sünder das Ja-Wort gegeben haben. Das Wort heißt Gnade.
Gnade wird fälschlicherweise oft nur so angesehen, als spiele sie eine ähnliche Rolle wie die Romantik in Jane Austens Liebesgeschichten. Die Gnade bringt uns zum Altar mit Gott. Sie ist eine geheime, kraftvolle Macht, die uns aus unserer sündhaften Isolation herausführt und uns mit Christus vereint. Hat die Gnade das aber vollbracht, ist die Geschichte vorüber.
Manchmal begegnet man dieser Auffassung in Zeugnissen, in denen Menschen von ihrer Hinwendung zu Gott berichten. Die Sünde, die man als Ungläubiger begangen hat, wird dabei mit vielen Details dargelegt. Dann erfährt man von Gottes wunderbarem Eingreifen, der tiefen Freude der Wiedergeburt und dann – ja, dann kommt der Abspann. Die Gnade vollbringt diese erstaunliche und unglaubliche Aufgabe, mich sicher bis zum Altar der Errettung zu führen, und entschwindet dann, um jemand anderen zu erretten; ab jetzt muss ich alleine zurechtkommen. Ist das tatsächlich so?
Anhaltende Gnade fürs ganze Leben
Ein großer Theologe unserer Zeit, J.I. Packer, hat beobachtet, dass „keine Notwendigkeit in der Christenheit dringlicher ist als ein erneuertes Bewusstsein davon, was die Gnade Gottes wirklich ist.“[3] Dem kann ich nur zustimmen. Christen, die eine große Wertschätzung für die Gnade Gottes entwickeln und bemüht sind, sie in jedem Bereich ihres Lebens zur Anwendung zu bringen, beschenkt Gott mit einem kraftvollen Leben und großer Freude. Ich bin auch der Meinung, weil die Tiefe und Weite der Gnade Gottes so wenig begriffen wird, dass das Wort „dringlich“ in obigem Zitat ganz und gar angemessen ist. Und für verheiratete Christen kann außerdem kein Anwendungsbereich dringlicher sein als die eigene Ehe.
Wir sind oft versucht, zu glauben, der Weg zu einer guten christlichen Ehe bestünde darin, gutes Bibelwissen zu haben, rechtes Verhalten einzuüben, sich mehr Mühe zu geben und unsere Emotionen besser in den Griff zu bekommen. Gewiss, diese Dinge sind äußerst wichtig, aber sie beschreiben nicht das Wesen der Gnade. Nochmals: Für dich und mich gibt es keine dringlichere Notwendigkeit, als unser Bewusstsein zu vertiefen, was die Gnade Gottes tatsächlich bedeutet – und das besonders, wenn Sünder sich das Ja-Wort geben. In Titus 2, 11-14 geht Paulus über den ‚Jane-Austen-Horizont‘ hinaus und zeigt uns, dass wir die Gnade nicht am Altar lassen dürfen.
„Vers 11: Denn die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend allen Menschen,
Vers 12: und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen und besonnen und gerecht und gottesfürchtig leben in dem jetzigen Zeitlauf,
Vers 13: indem wir die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus erwarten.
Vers 14: Der hat sich selbst für uns gegeben, damit er uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und sich selbst ein Eigentumsvolk reinigte, das eifrig sei in guten Werken.“
Diese Verse tragen gute Nachricht in sich! Es gibt eine fantastische Fortsetzung nach der rettenden und rechtfertigenden Gnade. Die Gnade, die uns gerettet und gerechtfertigt hat, wird zur Gnade, die uns heiligt, die in uns Tag für Tag zunehmend Heiligkeit wachsen lässt. Das heißt, sie ist eine die Oberhand gewinnende, nicht zu stoppende Gnade, die nicht einfach ‚den Laden dicht macht‘, nachdem der Sünder sein Übergabegebet gesprochen hat. Sie ist die Kraft Gottes, die uns hilft, die Sünde zu überwinden, und eine kraftvolle Waffe in den heftigen Gefechten, die das Leben nach den ‚Flitterwochen‘ der Bekehrung begleiten. Die Bekehrung ist wie eine Hochzeit, aber nicht das Ende einer Geschichte; sie ist erst der Anfang!
In den obigen Versen zeigt uns Paulus, wie rettende Gnade zur heiligenden Gnade wird. Lasst uns den Abschnitt Stück um Stück anschauen, damit wir – wie Packer es ausdrückt – „ein erneuertes Bewusstsein davon erlangen, was die Gnade Gottes wirklich ist“. In Vers 11 sehen wir, dass Gnade damit beginnt, dass unser Erretter als die Verkörperung der Gnade erscheint und Heil den Verlorenen und Versöhnung den Feinden Gottes bringt. Das Wunder Seiner Menschwerdung und die Großartigkeit Seiner Sühne haben die Erlösung Realität werden lassen. Dies ist die Grundlage und die Quelle der Errettung. In Christus ist die Gnade erschienen.
Nur kurz zur Klärung: Rettende Gnade und heiligende Gnade ist dieselbe Gnade. Die beiden unterschiedlichen Begriffe bezeichnen nur die Bandbreite ihrer Wirksamkeit und besagen nicht, dass eine andere Art der Gnade gemeint sei. Wenn wir schließlich zu jenem großen Tag gelangen, an dem wir vor Gott stehen, werden wir erkennen, dass das Leben auf Erden durch und durch aus Gnade gewesen ist, derselben Gnade in und durch Christus, Gnade über Gnade, von Anfang bis Ende (Sacharja 4,7; Offenbarung 22,21)! Heiligende Gnade ist deshalb keine andere Art Gnade. Sie ist dieselbe Gnade, die uns gerettet hat, nun aber im neuen Herzen des Gotteskindes permanent zur Anwendung kommt.
Welch eine gute Nachricht – heiligende Gnade! Sie beinhaltet die gute Botschaft, dass Gott anhaltende Gnade für den gesamten Lauf des Lebens vorhält. Wenn wir die Gnade auch von dieser Seite betrachten, dann behalten wir die Balance, die Paulus in seinem Brief an Titus deutlich werden lässt. Er sagt einerseits nicht, dass die Gnade uns zwanghaft gegen unseren Willen verändert. Aber er sagt auch nicht, dass sie eine Art Vitaminspritze ist, die wir uns in Zeiten besonderer Energielosigkeit verabreichen. Nein, Gnade ist beständig in uns am Wirken, fortschreitend und zunehmend, sodass wir einerseits hingegeben und andererseits auch fleißig den vor uns liegenden Lauf des Lebens bewältigen können. Und ein wesentlicher Teil dieses Laufes ist unsere Ehe.
Denke an die Bereiche deines Lebens, in denen du Wachstum benötigst – vielleicht an die gelegentliche Selbstmitleids-Party oder die launischen und gereizten Antworten oder an gärenden Zorn oder Unzufriedenheit. Gott verspricht dir hier genügend Gnade, sodass du vor diesen Sünden weglaufen und zu einem guten Ende gelangen kannst. „Menschliche Sünde ist hartnäckig“, sagt Cornelius Plantinga, „aber nicht so hartnäckig wie die Gnade Gottes und auch nicht halb so beständig, nicht halb so leidensbereit, um zum Ziel zu kommen.“[4] Hartnäckige, beständige, unnachgiebige Gnade, die uns verändert – das nenne ich gute Nachricht!
Gnade: Die Kraft, das Alte zu verleugnen
In Vers 12 entdecken wir die Tatsache, dass die Gnade Gottes mit einer Absicht an uns herantritt, die weit über die Bekehrung hinausgeht. Sie „unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen und besonnen und gerecht und gottesfürchtig leben in dem jetzigen Zeitlauf.“ Die Gnade Gottes ist nicht nur einfach erschienen, sondern sie hat zugleich auch ihre Arbeitsbeschreibung mitgebracht – nämlich die Kinder Gottes zu unterweisen, wie sie ihr individuelles, einzigartiges und sich stets änderndes Leben Gott wohlgefällig führen können.
Einige Bibelübersetzungen sagen nicht einfach nur, dass die Gnade uns „unterweist“ sondern, sie „bringt uns dazu“ (Hoffnung für Alle) oder „erzieht uns dazu“ (Neue Genfer Übersetzung). Das spiegelt die Tatsache wider, dass das hier gebrauchte griechische Wort eine recht umfassende Bedeutung hat. Es beinhaltet weit mehr als nur Wissensvermittlung oder Informationsweitergabe. Es geht auch nicht nur um eine Lektion hier oder eine Lektion dort, die die Gnade uns erteilt. Nein, es geht um eine konstante Kraft, die im Leben eines jeden Christen wirkt. Es geht um eine Gnade, die rund um die Uhr und an jedem Tag der Woche im Dienst ist und über allem steht, was wir tun. Gnade ist der zum Trainer gewordene Lehrer, der darauf besteht, dass wir auf Gott ausgerichtet bleiben.
Als junges Mitglied einer Sportmannschaft hatte ich einen Trainer mit der seltenen Begabung, das Beste aus den Kindern herauszuholen. Im Blick auf die, mit denen er zu arbeiten hatte, war dies eine echte Herausforderung. Trainer Hayes war ein rauer, oft unrasierter Stahlarbeiter, der zwei Leidenschaften hatte: Kinder und Baseball. Den Sommer über trainierte er zweimal in der Woche mit ihnen – oder auch mehr, wenn es Vorbereitungsspiele gab.
Trainer Hayes hatte eine bestimmte Art. Er konnte zum Beispiel einem schwachen Rechtsaußen, der sich nur deshalb auf dem Feld wiederfand, weil seine Mutter ihm regelmäßig frische Luft verpassen wollte, exzellente Leistungen entlocken. Er unterrichtete und trainierte in der absoluten Erwartung, dass man das Gesagte auch umsetzen würde. Als Ergebnis machte er aus einem bunt zusammengewürfelten Haufen Kinder ein Meisterschaftsteam. Nicht die Spieler waren hervorragend, seine Trainingsmethoden waren es. Nicht wir waren ausgezeichnete Schüler, sondern er war ein großartiger Lehrer.
John Stott sagt: „Paulus personifiziert diese Gnade Gottes. Die Gnade als Retter wird zur Gnade als Lehrer.“[5] Titus 2, 12 erinnert uns daran, dass geistliches Wachstum unvermeidlich ist – nicht weil wir hervorragende Studierende wären, sondern weil die Gnade ein außergewöhnlich guter Lehrer ist. Sie ist ein Trainer, der nicht aufgibt, ein Coach, der nicht aufhört und der keinen Feierabend kennt. Die Gnade ist beharrlich dabei, uns zu befähigen, den Lauf durchzustehen.
Mit welcher Übung beginnen wir dann also unser Training? Gnade lehrt uns, etwas „zu verleugnen“. Dies bedeutet, etwas aufzugeben, zurückzuweisen oder zu verweigern. Im Fadenkreuz der Gnade befinden sich zwei Ziele: Ungöttlichkeit und weltliche Leidenschaften. Hier erinnert uns Gott daran, dass unsere größte Versuchung in der Ehe die ist, mehr wie der alte Mensch zu leben, der wir einmal waren, als wie der neue Mensch, der wir in Christus geworden sind. Aber keine Angst: Gott hat vorgesorgt. Die Gnade befördert uns von da, wo wir sind, dorthin, wo Er uns haben möchte. Die Gnade in der Errettung gab uns ein neues Verlangen, Gott zu gefallen und zu Seiner Ehre zu leben. Die Gnade in der Heiligung wiederum arbeitet an uns, um die noch verbliebene Opposition der Sünde in unserem Herzen zu überwinden und uns zu dem Ziel zu bringen, das sich die rettende Gnade von Anfang an vorgenommen hat, nämlich uns zu vollenden. Diese Gnadenkraft ist sehr praktisch. Nehmen wir an, dein Ehepartner schreit dich an, deine Frau redet verächtlich über dich, oder dein Mann ist kaltherzig. Die Gnade erscheint dann, um die Sätze, die sich in unserem Groll als Antwort bilden wollen, zurückzuweisen.
Weil Gnade von Gott kommt, steht sie im heftigen Widerspruch zur Sünde. Sie unterweist uns darin, wie man mit der Sünde Krieg führen, sie drosseln, betäuben und zu Tode bringen kann. Ihr Ratschlag ist einfach: Lade, entriegele, ziele auf die Sünde – und dann drücke ab! Wie eine Wärme suchende Rakete heftet sich die Gnade an die Sünden unseres alten Wesens und macht sich ans Werk, sie aus unserem Leben zu entfernen. Gott befreit dich dadurch von der Sünde, dass Er die Bereiche deiner Gottlosigkeit aufzeigt und dich dazu befähigt, sie abzulegen. So wird Anspruch der Sünde zunichte gemacht.
Vielleicht ist Gott gerade dabei, dir sündige Bereiche deines Lebens aufzuzeigen. Ist dies der Fall, dann ist es Seine Absicht, dass du diese Bereiche von dir stößt. Worauf wartest du noch?
Gnade: Die Kraft zum Leben
Stell dir vor, du sitzt zusammen mit einem Pastor bei einem Ehevorbereitungsgespräch, und er zählt dir auf, was du alles nicht tun sollst. „Tu dies nicht, tu das nicht.“ Kritisiere nicht ihre Kochkünste. Mach dich nicht über ihren Geschmack in Sachen Kleidung lustig. Beklage dich nicht, lüge nicht, stiehl nicht … und so weiter und so fort! Ich stehe den „Du sollst nicht“-Geboten der Bibel sehr wohl positiv gegenüber, denn wir benötigen sie, um Sünde zu identifizieren und dann vor ihrer Täuschung fliehen zu können. Aber aus einem Schwall von „Du sollst nicht“-Hinweisen wird keine großartige Ehe. Reife kommt nicht allein dadurch zustande, dass wir gewisse Dinge vermeiden, sondern auch dadurch, dass wir andere konkret verfolgen.
Deshalb finden wir an der heiligenden Gnade zwei Aspekte: Ein Ablehnen und ein Ergreifen – ein sich Abwenden von dem, was falsch ist, und ein sich Zuwenden zu dem, was richtig ist. Wir finden dies im zweiten Teil von Vers 12. Die Gnade unterweist uns, „besonnen und gerecht und gottesfürchtig zu leben in dem jetzigen Zeitlauf“ (Titus 2,12).
So wie wir es durch die erziehende Gnade praktisch einüben können, die Sünde zu verleugnen, wird sie uns auch Wege aufzeigen, wie wir die Leidenschaften dieser Welt durch ein gottgefälliges Verhalten ersetzen können. Das Ergebnis daraus werden liebliche Gedanken sein, mehr Geduld mit unserem Partner, Selbstbeherrschung wird an die Stelle von wütenden Worten treten, ja, Liebe, Freude und Frieden werden auf wunderbare Weise zunehmen. Ein nahezu grenzenloses Aufgebot an göttlichen Wesenszügen und Verhaltensweisen wird sich entwickeln. Und so werden wir zunehmend dem Wesen Christi ähnlicher und damit unsere Ehe immer beglückender.
Gnade: Die Kraft, zu warten
Ich hasse es, warten zu müssen. Oft dauert mir sogar Fastfood noch zu lange, und Schnellkaffee geht mir häufig auch nicht flott genug. Auch das Tippen von kürzesten Ad-hoc-Botschaften könnte meiner Meinung nach viel rasanter gehen. Ich möchte in einer Welt leben, die sich an meiner inneren Uhr ausrichtet. Genau, „Dave Harveys Welt“, so sollte es sein, das mag ich …! Aber nein, Gott hat die Kontrolle, nicht ich. Deshalb ist es gut, dass eine dritte Komponente der Gnade in diesem Abschnitt aufgezeigt wird, nämlich die Gnade, zu warten. Wir haben gelesen, dass wir berufen sind, in dieser gegenwärtigen Welt zu leben, „… indem wir die … Erscheinung … unseres Heilandes Jesus Christus erwarten.“ Ich habe dieses Bibelwort absichtlich etwas gerafft, um den einen Punkt aus dem Text hervorzuheben: Ein Qualitätszeichen des christlichen Lebens, ein Grundwert, den wir als Gläubige bei unserem Streben nach Gottes Herrlichkeit haben, ist das Warten.
Unsere Ehen verlaufen im Wartesaal der Geschichte zwischen dem ersten Kommen Jesu und Seiner Wiederkunft. Paulus nennt diesen Wartesaal „das gegenwärtige Zeitalter“. Inmitten all unserer Mühen, die Sünde abzulegen und nach Gottseligkeit zu streben, warten wir.
Wie passt das zusammen? Was verbirgt sich dahinter, zeitgleich aktiv und inaktiv zu sein? Was bedeutet es, zu warten und gleichzeitig doch zu handeln? Die Antwort finden wir in unserem Textabschnitt bei Paulus.
Achte auf den doppelten Blickwinkel, den er in einem einzigen Satz zusammenbringt. Einerseits spricht er von den klaren, anfassbaren Realitäten des Hier und Jetzt (ein diszipliniertes, aufrichtiges und gottesfürchtiges Leben zu führen), um andererseits sofort die Wiederkunft Jesu zu betrachten. Was will der Apostel damit deutlich machen?
Paulus belässt unsere Hoffnung dort, wo sie letztendlich hingehört – in Christus. Meine lieben Leser, es geht in diesem Leben nicht wirklich um dich oder mich. Es geht um die Herrlichkeit Gottes, die durch uns ihren Ausdruck finden soll. In diesem „Wartesaal“ verspricht uns Gott Heiligung, ein Ihn verherrlichendes, geistliches Wachstum, das uns durch die Kraft Seiner beharrlichen Gnade vermittelt wird. Er verspricht aber nicht, in diesem Leben schon jede Sünde zu unterdrücken, jede Schwäche zu stärken, ungebrochene Harmonie in deiner Ehe zu schaffen oder jedes Gebrechen zu heilen.
Wenn Gott alles, was momentan auf deiner Liste an Reparaturbedürftigem steht, ad hoc wieder in Ordnung brächte, meinst du nicht, dass du recht schnell wieder eine neue Liste erstellen müsstest? Und danach die nächste und so weiter? Was steht am Ende eines solchen Prozesses? Die Vollkommenheit – doch die bekommen wir in diesem Leben nicht. Die Vollkommenheit wird dann kommen, wenn der Sohn Gottes wiederkommt und wir zusammen mit Ihm auf der neuen Erde und im neuen Himmel leben werden.
In diesem gegenwärtigen Zeitalter kooperieren wir mit Gottes beharrlicher, heiligender Gnade, um ein beherrschtes, aufrichtiges und Gott wohlgefälliges Leben zu führen. Dabei ist uns aber klar, dass nicht alle unsere Sünden und Schwächen auf einen Schlag überwunden werden, sondern der Kampf bis an das Ende unseres Lebens andauern wird. Uns ist demzufolge bewusst, dass Veränderung immer Zeit braucht. Weil aber die Gnade so kraftvoll, gründlich und umfassend ist, ist selbst diese Wartezeit gut für uns. Dieses Warten bewirkt Dinge in unseren Seelen und Ehen, die sonst nicht geschehen würden. Dies ist eine Lektion, die ich immer und immer wieder lernen muss. Wenn es eine ungelöste Angelegenheit in meiner Ehe gibt, von der ich denke, dass sie einer sofortigen Lösung oder Klärung bedarf, dann will ich kein „Warte und Vertraue!“ von jemandem hören. Viel lieber ist mir ein „Tu dies und tu das, und das Problem verschwindet!“. Ich habe häufig das Verlangen, dass Veränderungen in meiner Ehe sofort geschehen; auch will ich die Veränderungen an meiner Frau sofort. Und zwar ungefähr so, wie wenn man die Löschtaste am Computer drückt.
Doch Gott ist kein mit Isolierband und Alleskleber bewaffneter geistlicher Schnellreparateur. Er ist ein geduldiger, kompetenter Handwerksmeister, der auch dem kleinsten Detail Seine intensive Aufmerksamkeit widmet. Die Schaffung eines Charakters voller Gottseligkeit und Selbstkontrolle ist ein zeitraubender, allmählicher Prozess.
Die Gnade agiert zwischen Zeit und Ewigkeit. Die heiligende Gnade bringt unsere Seele zur Ruhe, sodass wir hier im Warteraum sowohl arbeiten als auch warten können. Dabei vertrauen wir darauf, dass Gott Seinem vollkommenen Willen entsprechend handelt, und das auch in Bereichen, in denen wir warten und warten und warten. Denn genau betrachtet sind unsere zahlreichen kleinen und großen Wartezeiten und die mit ihnen einhergehenden Hoffnungen nichts anderes als Teil unseres größeren Wartens und Teil unserer letztendlichen Hoffnung. Während die anhaltende, heiligende Gnade an unseren Ehen arbeitet, um uns mehr wie Christus werden zu lassen, warten wir auf Christus. Er wird durch unser geduldiges Warten genauso verherrlicht wie durch unsere hingebungsvolle Arbeit.
Gnade: Die Kraft, zu wollen
Bevor Christus in uns Gestalt zu nehmen begann, waren wir weltlichen Leidenschaften ergeben. Wir alle suchten dort Befriedigung und frönten unserem sündigen Verlangen. In unserem Eifer nach Selbstbestimmung gaben wir als passionierte Sünder bereitwillig den falschen Dingen Raum. In Christus ist uns nun aber die Gnade erschienen und führt unsere Leidenschaften wieder zurück zu Gott. Wir sehen dies am Ende von Vers 14, wo Paulus hervorhebt, dass zu Gottes großen Zielen, die Er mit unserer Errettung verfolgt, auch gehört, Eifer zu „guten Werken“ in uns zu schaffen (Titus 2,14).
Was ist Eifer? Eifer ist aufgeputschtes Verlangen. Ein durchschnittlicher Fußballfan wird auf der Tribüne sitzen und mit der Menge mitgehen, ein eifriger Fan wird jedoch selbst mitten im Winter vor Begeisterung sein Hemd ausziehen, um seinen mit den Farben seines Vereins bemalten Körper zur Schau zu stellen. Eifernde sind Menschen, die stundenlang vor einem noch geschlossenen Supermarkt warten, um ein Schnäppchen zu ergattern. Unser Eifer ist ein starker Ausdruck von dem, was uns bestimmt, was wir lieben und wie wir leben.
Bevor uns die Gnade also trainiert, schafft sie in uns ein tiefes Grundverlangen, das auf Gott ausgerichtet ist. Was wir im Leben erreichen wollen, verändert sich hin und wieder. Aber das, was die Gnade erreichen will, verändert sich nicht. Sie ist hartnäckig und erneuert den Eifer unseres Grundverlangens immer wieder und hört damit auch nicht auf, bevor tatsächlich die guten Werke zu fließen beginnen.
Was denkst du? Würden deiner Ehe einige gute Werke guttun? Vielleicht sind die Dinge bei euch schon so weit abgedriftet, dass selbst die kleinste Liebenswürdigkeit dir wie ein großer Schritt vorkommt. Vielleicht gefrieren bei euch die Fenster schon dann, wenn ihr beide in einem Raum nur zusammen seid. Das ist kein Grund zur Verzweiflung; Gott hat Seine Gnade zu euch gesandt, beharrliche, heiligende Gnade! Sie kann sehr stark an dir wirksam werden und dich nicht nur zur gehorsamen Pflichterfüllung anleiten, sondern dich „eifrig zu guten Werken“ in der Ehe machen. Eine Gnade, die uns von innen heraus verändert. Kein Wunder, dass man sie als überwältigend bezeichnet!
Die Gnade exportieren
Wir sind dabei, dieses Kapitel abzuschließen. Zuvor möchte ich aber noch einen Blick darauf werfen, wohin Paulus die Diskussion als nächstes lenkt. In Vers 15 fährt er fort: „Dies rede und ermahne und überführe mit allem Nachdruck! Niemand soll dich verachten!“ An dieser Stelle leitet Paulus in erster Linie einen Pastor namens Titus an. Aber auch du und ich sind dazu aufgefordert, das Wort der Gnade durch Aussprechen und Ermunterung weiterzugeben – besonders an unseren Ehepartner. Das könnte praktisch so aussehen, wenn er oder sie das nächste Mal wieder mit sich zu kämpfen hat. Sprich in etwa Folgendes aus:
Liebling, vergiss nicht, dir ist doch die Gnade Gottes erschienen. Christus hat dich zu Seinem Kind gemacht. Und das bedeutet doch, dass dich die Gnade mit anhaltender und wirksamer Kraft versorgt, dass du die weltlichen Leidenschaften und negativen Verhaltensweisen von dir weisen kannst – und zwar genau jetzt, mitten in dieser Versuchung! Ich möchte dich ermutigen und es dir in Erinnerung rufen. Handle danach. Gib dieser beharrlichen Gnade Gottes Raum.
Wie oft zeigst du so oder ähnlich deinem Ehepartner die Gnade Gottes? Wie oft erinnerst du ihn oder sie daran, dass diese Gnade in uns am Wirken ist und uns verändert und anleitet? Ich glaube, ich tue es nicht genug. Robert Murray M’Cheyne sagte einmal: „Für jeden Blick auf dich selbst schau zehnmal auf zu Christus.“[6] Damit dies geschehen kann, brauchen wir Hilfe. Unsere geistliche Perspektive kann schnell in Schieflage geraten, wenn wir zu sehr auf das achten, was wir in uns sehen. Wie können wir an dieser Stelle einander helfen? Ich möchte dir vier Dinge mit auf den Weg geben, wenn du deinen Partner in der Gnade Gottes ermutigen möchtest.
1. Dein Ehepartner hat die Tendenz, von Gnade zu Selbstanstrengung zu driften.
Ich muss einfach mehr tun, härter dran arbeiten, mich mehr anstrengen. Wir sind dem Vorgesetzten sehr ähnlich, der nicht delegieren kann, weil er denkt, er müsse alles selber erledigen; seine schlechte Gesundheit und seine Erschöpfungssymptome erzählen dir aber die wahre Geschichte. Selbstanstrengung mag uns ein besseres Gefühl vermitteln, letztlich aber ist sie zwecklos. Wenn uns mehr bewusst ist, was wir noch tun müssen, als das, was Christus schon getan hat, dann driften wir gerade ab. Das ist nicht selten der Fall, gerade in der Ehe.
Gehe in deiner Ehe doch einmal von folgendem Gedanken aus: Ein Schlüssel, den Gott euch für einander gegeben hat, ist der genannte Vers 15: „Dies rede und ermahne und überführe mit allem Nachdruck!“ Das heißt, erinnert einander an das Evangelium. Ich soll meinen Partner daran erinnern, dass er beziehungsweise sie in dem derzeitigen Konflikt oder in der derzeitigen Situation Gott braucht – und Er die Kraft verfügbar hält, Seinen Willen tun zu können. Dieser Art sollen unsere gegenseitigen Ermahnungen sein.
Es gibt dafür einige praktische Schritte:
Jerry Bridges sagt: „Wir haben dringend nötig, das Evangelium an jedem Tag unseres Lebens wieder neu zu hören.“[7] Das einzige Gegenmittel für verzweifelte Selbstanstrengung ist die Erinnerung daran, dass wir zu ohnmächtig waren, um uns selbst zu retten, und dass wir auch zu ohnmächtig sind, unsere gegenwärtige Situation zu meistern. Das Evangelium allein ist die Kraft Gottes für jede Lebensveränderung (1. Korinther 1,18).
- Predige dem Ehepartner das Evangelium
Unsere Neigungen folgen leider allzu oft unserem Denken. Deshalb ist es so wichtig, unsere Denkmuster zu erkunden, unsere eingefahrenen mentalen Geleise aufzudecken und sich stattdessen regelmäßig biblische Wahrheit vor Augen zu halten. „Wie wir denken, bestimmt das Verhalten der Seele. Wenn sich unser Denken auf irgendeine Anschauung festlegt, dann tun unser Wille und Herz dasselbe. Sie sind nicht in der Lage, sich der Vorgabe unseres Denkens zu entziehen… Die Aufgabe des Denkens ist es also, die Richtung vorzugeben, auszuwählen und anzuleiten.“[8]
- Ermutige, über die Reichtümer des Evangeliums nachzudenken
Jesus sagte: „Kommt her zu mir, alle ihr Mühseligen und Beladenen! Und ich werde euch Ruhe geben. Nehmt auf euch mein Joch, und lernt von mir! Denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe finden für eure Seelen“ (Matthäus 11,28-29). Bei dieser Verheißung der Ruhe handelt es sich nicht um einen gelegentlichen Mittagsschlaf oder einen unerwarteten Schlechtwettertag, sondern sie ist eine Erinnerung daran, dass es die Seele verjüngt, wenn wir ganz nahe bei Christus sind. Achte darauf, dass dein Ehepartner dies nicht vergisst!
- Ermutige zur Ruhe in Gott, gerade wenn der Kampf tobt
Unsere säkulare Umwelt redet uns ein, wir säßen selbst auf dem Fahrersitz und alles würde sich nur um uns drehen. Das ist aber das Gegenteil dessen, was wir in der Schrift finden. Sie korrigiert eine solche Denkweise, indem sie uns an die absolute Kraft der Gnade Gottes erinnert. Wörtlich fordert uns der Herr dann auf, wie Paulus auch den Timotheus: „Du nun, mein Kind, sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist“ (2. Timotheus 2,1).
2. Dein Ehepartner hat die Neigung, sich entmutigen zu lassen.
Hast du Sympathie für meine Ungeduld, wenn mir Veränderungen zu langsam gehen? Dein Ehepartner kennt diese Ungeduld ahrscheinlich auch. Und hier sind wir alle sehr für Entmutigung anfällig. Der festgefahrene Konflikt oder das Kind, das deinen Einflussbereich schon vor langer Zeit verlassen hat und sich nicht verändert, sind sehr gute Gelegenheiten, um Geduld zu üben und vorzuleben – gerade wenn die Veränderung nicht nach deinem erwarteten Zeitplan abläuft. In diesen Phasen müssen wir einander daran erinnern, dass es eine wunderbare, beharrliche Gnade für unseren gesamten Lebenslauf gibt!
Was aber, wenn überhaupt kein Fortschritt zu erkennen ist? Wie können wir einander praktisch ermutigen, wenn die Entmutigung in unseren Herzen schon fest verwurzelt scheint?
Eine Saat kann im Wachsen begriffen sein, obwohl wir es noch nicht sehen. Ermutige deinen Partner, die Gnade nicht zu verschmähen. Sie ist am Wirken, ob wir das sehen oder nicht.
- Erinnere deinen Ehepartner daran, dass Gott unter der Oberfläche arbeitet, bevor Veränderung sichtbar wird.
Tue das auch dann, wenn die Veränderung nicht unmittelbar dort geschieht, wo du es am liebsten gehabt hättest. Wo und wie auch immer Gnade erkennbar wird – man sollte sich darüber freuen und sie feiern. Manchmal findet man sie dort, wo man sie gar nicht vermutet hätte. Der Ehemann, von dem du dir auf einem bestimmten Gebiet Veränderung wünschst, verändert sich in einem ganz anderen Bereich, womit du möglicherweise gar nicht gerechnet hast, dass er zum Beispiel seinen übermäßigen sexuellen Appetit in den Griff bekommt. Die verhaltene Ehefrau überwindet ihre Bequemlichkeit, um der Nachbarin das Evangelium zu erklären, und stellt daraufhin fest, wie ihre Freude in Gott sprunghaft ansteigt. Es ist nicht unsere Aufgabe, den genauen Ablauf der Veränderung festzulegen, sondern dort dankbar zu sein, wo Gnade offensichtlich wird.
- Drücke deine Freude darüber aus, was bereits an kleinen Veränderungen zu sehen ist.
Solltest du wie ich gestrickt sein, dann sieht dein Vorgehen ungefähr so aus: „Zuerst Sorgen machen, dann noch beten, wenn es dir einfällt.“ Aber Gott hält viel mehr für uns bereit! Deshalb gehe die Sache an und besprich sie offen mit deinem Ehepartner und legt eine gemeinsame Strategie fest. Stellt Fragen wie: „Welche geistliche Übung könnte man in diesem Bereich anwenden? Wen in unserer Gemeinde können wir eventuell auch noch um Rat fragen und Fürbitte erbitten?“ Manchmal fließt die Gnade schon bei geringster Handlungsbereitschaft. Und wenn sie kommt, dann handle entschieden.
- Überdenke deine Strategie zur Veränderung.
3. Dein Ehepartner kann das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren.
Unser Kampf zur Überwindung bestimmter Sündenmuster kann uns so sehr beschäftigt halten, dass wir anfangen zu glauben, im christlichen Leben ginge es hauptsächlich um das Problem der Sünde. Dies ist vollkommen falsch! Gewiss ist richtig, dass wir effektivere Kämpfer gegen die Sünde werden sollen. Aber letztendlich soll das nicht in erster Linie wegen der Sünde als solche geschehen, sondern wegen des Trainings hin zur Heiligkeit, die wir in der ewigen Welt voll und ganz besitzen werden. Es geht ganz schnell, dieses hohe Ziel aus den Augen zu verlieren.
Niemand ist geeigneter dafür, uns an das Ziel zu erinnern, als die Person, die durch das Band der Ehe mit uns verbunden auf dasselbe Ziel hin zumarschiert.
4. Dein Ehepartner muss nicht in erster Linie auf die Gnade, sondern auf den Einen verwiesen werden, von dem alle Gnade kommt.
Als meine Tochter ungefähr vier Jahre alt war, beschloss sie, dass es an der Zeit sei, ihr Fahrrad ohne die Stützräder zu benutzen. Meine Frau und ich feierten diesen großen Moment und nahmen sie mit zu einem großen, leeren Parkplatz. Wir luden das Fahrrad aus dem Auto, entfernten die Stützräder und setzten unsere Tochter auf den Sattel. Sie jauchzte vor Freude. „Ich kann es“, rief sie. Ich gab ihr ein wenig Starthilfe und erklärte: „Du musst jetzt fest in die Pedale treten, auf geht’s!“ – hielt dabei aber die ganze Zeit meine Hand am Ende des Sattels. Wir wurden allmählich schneller, bis ich rannte, um auf ihrer Höhe zu bleiben. Die ganze Zeit über rief sie: „Schaut her, schaut her, ich fahre alleine mit meinem Fahrrad!“, bemerkte aber nicht, dass Daddy sie noch gehalten hatte.
So sind wir, du und ich. Wir „radeln“ schön und denken dabei, der Grund des Fortschrittes in unserer Ehe seien wir selbst. Wir können den himmlischen Vater hinter uns ganz schnell vergessen, der uns mit einer Hand am Sitz hält und die andere griffbereit hat, um uns vor dem Stürzen zu bewahren. Die Ehe gibt uns die Möglichkeit, uns gegenseitig an die tatsächliche Kraft zu erinnern, die hinter uns steht. Ist dein Ehepartner manchmal völlig begeistert von seinem eigenen Strampeln? Dann sag ihm in Liebe, dass es der Gott der Gnade ist, der ihm das ermöglicht.
Vor einigen Wochen machten wir als ganze Familie eine Wanderung. Es sollte ein Tag sportlicher Ertüchtigung an der frischen Luft im herbstlichen Wald werden. Stattdessen entwickelte er sich zu einem Tag der Feststellung, dass Papa keine Wanderkarte lesen kann und wir deshalb ein paar Stunden ziellos durch den Wald laufen müssen. Meine Familie meinte ein bisschen verärgert, dass ich während des nächsten Familienausflugs besser zur Arbeit gehen sollte!
Aber mitten an diesem Tag, irgendwo an einer Weggabelung im tiefsten Wald, erlebte ich einen ergreifenden Moment der Gnade. Als es der kleinen Gruppe allmählich dämmerte, dass wir nicht mehr richtig wussten, wo wir uns wirklich befanden, und wir alle schon ziemlich hungrig waren, sagte Kimm mit einem Lächeln auf den Lippen: „Das ist ja prima. Nun können wir den Wald noch besser kennenlernen und noch mehr Wanderwege entdecken.“
Wir haben schließlich den richtigen Weg gefunden, irgendwie. Mir ging aber der Kommentar Kimms noch sehr lange nach: die Art und Weise, wie sie mir über einen Fehler hinweghalf, indem sie auf das Gute sah, das dabei herauskommen könnte. Ich musste lächeln. Wenn ein Ehepartner Gnade kommuniziert, dann wachsen wir über unsere Fehler hinaus und gelangen wieder auf einen fröhlichen Weg. Genauso sollte es sein, wenn Sünder sich das Ja- Wort geben.
Die erstaunliche und beharrliche Gnade hilft uns an jedem Tag, unseren Wettlauf zu bestehen, indem wir Sünde ablegen, zugleich geduldig sind und dennoch handeln. Vielleicht hat Jane Austen dieses Geheimnis nie erkannt. Aber auf einem unbekannten Waldweg in den Wäldern Pennsylvanias wurde es mir wieder einmal bewusst. Kennst du dieses Geheimnis auch? Die Gnade Gottes ist mit einer solch beharrlichen Kraft in unser Leben getreten, dass sie der Sünde niemals gestatten wird, zu gewinnen. Vielleicht ist das eine bemerkenswerte Neuigkeit für deine Ehereise.
- ↑ Jane Austen (* 16. Dezember 1775 in Steventon, Hampshire; † 18. Juli 1817 in Winchester) war eine britische Schriftstellerin, deren Hauptwerke wie Pride and Prejudice und Emma zu den Klassikern der angelsächsischen Literatur gehören (Anm. der dt. Hrsg.).
- ↑ Ich empfehle diese Bücher: Love That Lasts von Gary und Betsy Ricucci; Sex, Romance and the Glory of God von C.J. Mahaney; Sex and the Supremacy of Christ von John Piper; The Intimate Marriage von R.C. Sproul. Vgl. auch Wolfgang Wegert. Liebe, eine Flamme Gottes – Ehe und Familie aus Gottes Sicht. arche-medien: Hamburg, 2009.
- ↑ J.I. Packer. God’s Words. IVP: Downer’s Grove, IL, 1981. S. 95-96.
- ↑ Cornelius Plantinga. Not the Way It’s Supposed To Be: A Breviary of Sin. Wm. B. Eerdmans Publications Co.: Grand Rapids, MI, 1995. S. 199.
- ↑ John Stott, The Message of 1 Timothy and Titus. IVP: Leicester, 1996. S. 199.
- ↑ Andrew A. Bonar. Life and Remains: Letters, Lectures and Poems of the Rev. Robert Murray M’Cheyne, Minister of St. Peter’s Church, Dundee. Robert Carter: New York, 1848. S. 209 (deutsch: Andrew A. Bonar. Rev. Robert Murray M’Cheyne. Reformatorischer Verlag Beese: Hamburg, 1995; Reprint der Ausgabe Verlag von Johannes Schergens: Cöln, 1880, deutsche Übersetzung nach der 116. englischen Ausgabe).
- ↑ Jerry Bridges. Disciplines of Grace. NavPress: Colorado Springs, 1994. S. 21.
- ↑ John Owen. Sin and Temptation. Multnomah: Portland, 1983; Neuauflage Regent College: Vancouver BC, 1995. S. 36-37.