Wenn Sünder sich das „Ja-Wort“ geben/Mit dem schlimmsten Sünder aufwachen: Die Nachricht, wer wir wirklich sind

Aus Biblische Bücher und Predigten

Version vom 24. August 2009, 16:26 Uhr von PagePush (Diskussion | Beiträge)
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Seufz …, es ist mir schon wieder passiert.

Meine Frau war unserem beabsichtigten Zeitplan etwas hinter-her gewesen. Anstatt auf sie zu warten (oder ihr gar zu helfen), hatte ich das getan, was ich so gut konnte: den Schulmeister gespielt. Ich rechnete ihr dieses Mal sogar laut vor, wie viele Minuten unseres Lebens durch sie aufgrund solcher Verspätungen bis-lang verschwendet worden waren. Meine Berechnungen beeindruckten sie aber überhaupt nicht, jedoch war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, wie meine Worte sie quälten. Da schoss es mir durch den Kopf, leider etwas zu spät: ‚Sehr elegant, Dave, sehr konstruktiv. Ein hilfreiches Wort zur rechten Zeit.‘

Wahrscheinlich denkst du, dass ein Pastor – also jemand, der berufen ist, auf hilfreiche, einfühlsame, biblische Weise zu denken und zu sprechen – sich in einem solchen Moment etwas besser benehmen sollte – zumindest etwas weniger zerstörerisch. Aber obwohl meine Worte arrogant und sündhaft waren, war Kimm in der Lage, sie mit Liebe zu bedecken und mir geduldig dabei zu helfen, zu erkennen, was an ihnen nicht gestimmt hatte.

Ich bin nach wie vor außerordentlich dankbar für Kimms gnä¬digen und vergebenden Geist, und dennoch bleibt da diese Frage offen: Warum bin ich nicht liebevoller? Schließlich sind wir doch schon mehr als zwanzig Jahre lang verheiratet. Auch bin ich davon die meiste Zeit im pastoralen Dienst, habe zahlreiche Ehebücher gelesen, etliche Eheseminare gehalten und bin der tiefen Überzeu¬gung, dass Kimm ein Geschenk Gottes an mich ist. Wenn ich meine Frau liebe, warum fällt es mir dann so leicht, sie zu behandeln, als liebte ich sie nicht?

Das passiert mir auch bei meinen Kindern. Vor kurzem verhielt eines von ihnen sich in einer Weise, die mein Eingreifen erforderte. Meine Großmutter sagte in solchen Fällen gewöhnlich, dass eine „Aussprache“ nötig sei. Aber was tat ich? Der große Schulmeister stellte wieder seine Falle auf. Anstatt die Gelegenheit zu nutzen, mit meinem Kind liebevoll zu reden, waren meine Worte hart und bitter. Andere Sache, andere Person – dasselbe Problem: Ich behandelte jemanden, den ich liebe, als ob ich ihn nicht liebte.

Jungs, ihr wisst, worüber ich gerade spreche. Du hast vielleicht einen romantischen Abend einschließlich Essen in ihrem Lieblingsrestaurant geplant. Aber dann sagt sie etwas, oder du sagst etwas, oder die Bedienung sagt etwas, und innerhalb weniger Minuten entsteht eine völlig neue Situation, an der sich ein handfester Konflikt entzündet, der die eheliche Harmonie noch sehr lange verdunkeln will.

Oder wie steht’s damit: Anstatt an einem freien Tag das Fußballspiel anzuschauen, entschließt du dich, eine Reparaturarbeit zu erledigen, um die dich deine Frau gebeten hatte. Fünf frustrierende Stunden später legst du dann dein Werkzeug beiseite und schaust nach deiner Frau aus, um ein Zeichen der Wertschätzung für dein persönliches Opfer zu erheischen. Sie aber schaut sich dein Werk an und sagt: „Ich hätte mir gewünscht, dass du mich vorher fragst, bevor du es so machst.“ Achtung, Brandgefahr!

Ihr lieben Ehefrauen, er hat euch gesagt, er sei um 21:00 Uhr von der Arbeit zurück, kommt aber erst um 22:45 Uhr mit der Bemerkung nach Hause: „Tut mir leid, Schatz, die Sitzung hat sich hingezogen.“ Kein Anruf, kein Hinweis, keine echte Entschuldigung, nicht einmal ein Zeichen des Verständnisses für die Sorgen, die du dir gemacht hast. Vor ein paar Minuten noch schoss dir durch den Kopf, wie du als Witwe deine Familie durchbringen würdest. Und jetzt, mit dem Hintergedanken, dass er eine Woche lang im Wohnzimmer schlafen wird, bist du dir nicht ganz sicher, was gleich aus deinem Mund kommen wird. Aber es wird wahrscheinlich nichts Gutes sein. Es wird wahrscheinlich nichts Gutes sein.

Inhaltsverzeichnis

Das Bekenntnis des Paulus – und unseres

Das ist die Kehrseite der Ehe, die Realität des gemeinsamen Le-bens, Tag für Tag, in einer gefallenen Welt. Aber was offenbart dies? Worauf weist meine ‚Fäulnis‘ hin? Hat mich der Feind isoliert, um mir seine volle Aufmerksamkeit zu widmen? Vielleicht bin ich eine Bedrohung für sein Reich, wie Frodo es für die Mächte Mordors[1] war oder Luke Skywalker für das Evil Empire[2]? Das rechtfertigt aber nicht die Tatsache, dass ich sehr wohl weiß, was richtig wäre, mich jedoch für etwas anderes entscheide!

Aber schaut, mit unserem Sündenproblem befinden wir uns in ziemlich guter Gesellschaft. So schlecht wir uns auch selbst einschätzen, der Apostel Paulus hält sich selbst für noch schlimmer. Vielleicht können wir etwas von ihm lernen.

Paulus schrieb an Timotheus: „Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, Sünder zu erretten, von welchen ich der erste bin“ (1.Timotheus 1,15). Ziemlich starke Aussage, oder nicht? Da gibt es nicht viel Spielraum! Paulus beginnt diese Aussage mit „Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert …“ – das ist die altertümliche Entsprechung zu dem Ausrufezeichen, mit dem du heutzutage deine E-Mails kennzeichnest, wenn du sie als ‚hohe Priorität‘ einstufst!

Das Statement des Paulus hat zwei Teile. „Christus Jesus ist in die Welt gekommen, Sünder zu erretten …“ Dies katapultiert uns mitten hinein ins Herz des Evangeliums und bereitet uns auf den zweiten Teil vor: „… von welchen ich der erste bin.“ Was soll man denn mit einer solchen Aussage machen? Wie kann der große Apostel für die Heiden, der Theologe aus den Anfängen des christlichen Glaubens, ernsthaft eine solche Aussage machen? Mit wem vergleicht er sich? Und welchen Maßstab legt er an?

Das sind wichtige Fragen. Wir dürfen diese Aussage des Paulus nicht einfach als Übertreibung am Rande oder als Übung in falscher Demut beiseitelegen. Dies ist das Wort Gottes, und es wird hier eine tiefgehende Feststellung getroffen.

Zunächst ist offensichtlich, dass Paulus nicht versucht, sich objektiv mit anderen Menschen zu vergleichen, denn er ist den meisten von ihnen niemals begegnet! Dies weist darauf hin, dass sein Blick nicht in erster Linie nach außen, sondern nach innen geht. Er deutet auch nicht an, moralisch bankrott zu sein oder keinerlei geistliche Reife zu besitzen. Er spricht einfach davon, was in seinem Herzen vor sich geht.

Letztlich sagt er: Schau her, ich kenne meine Sünde. Was ich in meinem eigenen Herzen gesehen habe, ist schwärzer und schrecklicher, es ist stolzer, selbstsüchtiger und egoistischer als al-les, was in den Herzen anderer Menschen sein kann. Mein Herz ist auch immer wieder furchtbar rebellisch gegen Gott. Soweit ich es beurteilen kann, kenne ich keinen größeren Sünder als mich!

Paulus studierte also sein Herz. Er beobachtete das Verlangen und die aufpeitschenden Impulse seines Inneren. Und ich bin der Meinung, es ist nicht übertrieben, davon auszugehen, dass Paulus dachte, er sei – unter entsprechenden Umständen – auch dazu in der Lage, die schlimmsten Sünden zu begehen, auch aus den niedrigsten Motiven heraus. Paulus war ein Realist. Er wollte Gott und sich selbst wahrhaftig erkennen. Für ihn gab es keine Fassade der Wohlanständigkeit oder der Religiosität, hinter der er sich verstecken wollte. Henry Scougal kommentiert diesen Vers so: „Niemand kann gemeiner über Paulus denken, als er selbst es tut.“[3]

Betrachten wir aber den nachfolgenden Vers: „Aber darum ist mir Barmherzigkeit zuteil geworden, damit Jesus Christus an mir als dem ersten die ganze Langmut beweise, zum Vorbild für die, welche an ihn glauben werden zum ewigen Leben“ (1.Timotheus 1,16).

Mit jedem neuen Tag wurden für Paulus zwei Dinge immer deutlicher: Seine Sündhaftigkeit im Licht der Heiligkeit Gottes sowie Gottes Gnade angesichts seiner Sünde. Sich selbst oder Gott genau zu erkennen, war für ihn keineswegs deprimierend oder entmutigend. Im Gegenteil, es vertiefte seine Dankbarkeit für die Weite der Gnade Gottes in der Erlösung und für die Geduld Christi mit ihm, der ihn beständig liebte und sich mit seinem täglichen Kampf gegen Sünde identifizierte.

Das Bekenntnis des Paulus an Timotheus liefert uns ein erstaunliches Beispiel moralischer Aufrichtigkeit und theologischer Reife: Seine eigene akute, ja schmerzhaft empfundene Sündhaftigkeit brachte Paulus dazu, die Herrlichkeit des Erretters zu preisen.

Ein Schurke, der sich freuen kann!

Dieses tiefgehende Bewusstsein innewohnender Sündhaftigkeit ist keine obskure theologische Aussage oder altreligiöser Eifer. Denn ein größeres Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit geht nach der Bibel einher mit großer Freude oder Vertrauen in Gott. Derselbe Paulus, der sich selbst als den größten aller Sünder bezeichnete, konnte zwei Verse weiter jubeln: „Dem König der Zeitalter aber, dem unvergänglichen, unsichtbaren, alleinigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (1. Timotheus 1,17).

Dieses Thema finden wir auch immer wieder in dem Buch der Psalmen. Psalm 40 beispielsweise drückt Freude an Gott und Klagen über Sünde nebeneinander aus.

Du, HERR, wirst dein Erbarmen nicht von mir zurückhalten;
deine Gnade und deine Treue werden beständig mich behüten!
Denn Übel bis zur Unzahl haben mich umgeben,
meine Sünden haben mich erreicht, dass ich nicht aufzublicken vermag;
zahlreicher sind sie als die Haare meines Hauptes,
und mein Herz hat mich verlassen
(Psalm 40,12-13).

Was geschieht hier? Finden wir hier irgendeine zweipolige Geistlichkeit? Keineswegs! Hier bricht angesichts eines Lebens in einer gefallenen Welt und eines Herzens, das noch mit der Sünde kämpft, die Freude der Errettung durch! Welch eine gewaltige Wahrheit und Realität.

Diese Realität will die Welt nicht anerkennen. Sie will die Wirklichkeit der Sünde nicht sehen. Eine moderne, aalglatte, glitzernde Gesellschaft will sich nur wollüstig selbst erheben und will deshalb auch keinen Erretter haben. Aber die Bibel belässt uns nicht in selbstbetrügerischen Illusionen, sondern nennt unser größtes Elend bei Namen und schickt uns direkt zum Retter, der Gottes Heiligkeit und Gnade im Kreuz vereinigt. Der große Prediger des 19. Jahrhundert, Charles Spurgeon, war auch einer, der diese Realität in all ihrer auf Christus gerichteten Herrlichkeit sah:

„Zu viele Menschen nehmen Sünde auf die leichte Schulter und denken deshalb auch zu wenig an den Erretter. Derjenige, der vor Gott gestanden hat, überführt und verurteilt, mit der Schlinge um den Hals, ist der Mensch, der vor Freude weinen kann, wenn ihm die Strafe erlassen wird, der das Böse hassen kann, das ihm vergeben wurde, der zur Ehre seines Erretters leben kann, durch dessen Blut er gereinigt wurde.“[4]

Was sagte Jesus der Frau, die des Ehebruchs überführt worden war? „Deswegen sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig“ (Lukas 7,47). Wenn ich, wie Paulus (oder David oder Spurgeon) das Ausmaß meiner Sündhaftigkeit erkenne, mich selbst als den größten aller Sünder sehe, dann begreife ich, dass mir in der Tat viel vergeben ist! Das ist der Punkt, an dem das Evangelium zu greifen beginnt. Ich fange an, Gott als den zu erkennen, der Er wirklich ist. Seine Weite wird dann größer als meine Probleme. Seine Güte erstreckt sich sogar zu mir, dem allergrößten Sünder. Und ich fange an, Seine Weisheit und Seine Kraft zu erahnen, die mich von innen heraus umformen will.

Die Sünde – meine Sünde und deine Sünde – ist absolut scheußlich. Sie ist widerwärtig. Sie ist boshaft. Gleichzeitig ist sie aber auch die Kulisse eines viel größeren Schauspiels. Während unseres geistlichen Wachstumsprozesses mögen wir tief betrübt über unser immer wieder neues Versagen sein, dürfen aber doch gleichzeitig darüber jubeln, dass Gott in Jesus Christus die Herrschaft der Sünde überwunden und uns durch Seine Gnade errettet hat. Unser Erlöser ist gekommen, um uns von der Strafe der Sünde zu erretten und uns durch Seinen Geist schon hier ein überreiches Leben zu geben.

Wenn zwei Menschen in ihrer Ehe diese Realität auf sich wirken lassen und bewusst im täglichen Wechselspiel von Sünde und Gnade, von Buße und Vergebung leben, dann werden sie mehr und mehr dem Bild ähnlich, welches Gott einer verlorenen Welt aufzeigen möchte. Deshalb noch einmal Watson: „Solange die Sünde für uns nicht bitter ist, wird Christus für uns nicht süß sein.“

Rob, Sally und der Rest von uns

Rob und Sally sind schon seit Langem Christen. Wie viele andere Ehepaare auch haben sie bestimmte Vorstellungen, wie sich der jeweils andere zu benehmen hat, und beide denken, dass sie Bedürfnisse haben, die der andere erfüllen sollte. Obwohl sie zur Kirche gehen und bewusst christlich leben, haben sie ernsthafte Ehekonflikte.

Und woher kommen sie? Daher, dass sie nicht sehen, dass sie die soeben beschriebenen biblischen Anfangsgrundsätze und Fakten nicht beachten. Weil das der Fall ist, gehen ihre gut gemeinten Besserungsversuche ins Leere.

Hier sind einige Beispiele: Rob sagt, er brauche Respekt. Aber alles, was er bekommt, sind Sallys kritische Kommentare am Abend, wenn er von der Arbeit nach Hause kommt. Sally sagt, sie brauche es, dass Rob sich um sie bemüht und ihr in ihrer Ehe ein größeres Gefühl von Sicherheit vermittelt. Aber alles, was sie bekommt, ist Robs Passivität – Tag für Tag.

Da ist nichts wirklich Falsches an beiden Bedürfnissen. Die Probleme entstehen dann, wenn beide, vielleicht mehrfach in der Woche, sich gegenseitig ihr Versagen vorrechnen, ihr Verlangen nach Veränderung betonen und – mit leichten Variationen – diese so fein verletzenden Bemerkungen wiederholen, die sie sich schon seit Monaten gegenseitig hin- und herwerfen. Interessanterweise, aber leider auch traurigerweise, fühlen sich Rob und Sally beide im Recht, nicht zuletzt durch die zahlreichen Ehebücher, die sie beide gelesen haben; Bücher, die ihrem – vom jeweilig anderen unterdrückten – Gerechtigkeitsempfinden Recht geben und die die Bedürfnisse, die sie verspüren, so tief legitimieren.

Wie würdest du als ein Freund, der die allmähliche Erosion der Ehe von Rob und Sally miterlebt, versuchen, ihnen zu helfen? Natürlich, sie brauchen ein Ohr, das ihnen zuhört und versucht, sie beide zu verstehen! Aber ihre größte Not liegt in ihrer Theologie. Sie müssen erkennen, dass einige der Erwartungen, die sie aneinander haben – und die diesen Erwartungen zugrunde liegenden Sichtweisen – unbiblisch sind! Ganz gewiss sind schon ihre Anklagen, harten Worte und egoistisch fordernden Haltungen Sünden. Aber als Ehepaar brauchen sie auch Hilfe dabei, sich im Grundsätzlichen mit der Schrift in Einklang zu bringen – das heißt, sich die fundamentalen Anschauungen Gottes anzueignen.

Das Grundproblem bei Rob und Sally wird offenbar in der Tatsache, dass die Aussage des Paulus aus 1. Timotheus 1,15 ihnen noch nicht „gewiss“, noch nicht wirklich vertrauenswürdig ist. Die ehrliche Erkenntnis und aufrichtige Anerkennung ihrer eigenen, individuellen Sündhaftigkeit ist bei ihnen noch nicht „aller Annahme wert“. Wie viele verheiratete Gläubige haben wie Rob und Sally die „gewisse“, die vertrauenswürdige Aussage des Paulus zusammengeschmolzen und in eine unbiblische Form gegossen, die dann in etwa so lautet: „Jesus Christus kam in diese Welt, um … meine Bedürfnisse zu stillen, von denen ich die meisten habe.

Kurz zusammengefasst: Rob und Sally mangelt es an Verständnis, wo das Evangelium ansetzt und wie es wirklich wirkt; doch sind sie damit leider bei weitem nicht alleine. John MacArthur beklagt den weit verbreiteten Verlust an biblischem Realitätsbewusstsein unter den Gläubigen:

„Christen verlieren schnell die Sicht, dass Sünde die Wurzel allen menschlichen Übels ist. Und viele Christen verleugnen ausdrücklich die Tatsache, dass ihre eigene Sünde die Ursache ihrer persönlichen Bedrückung sein kann. Mehr und mehr Christen versuchen, das menschliche Dilemma der Sünde mit völlig unbiblischen Begriffen zu erklären: Temperament, Sucht, dysfunktionale Familie, das innere Kind, Kodependenz[5]. Diese und andere Begriffe wurden von der säkularen Psychologie eingeführt und dienen inzwischen auch vielen Christen als eine Art Fluchtmechanismus aus der Realität, wie die Bibel sie uns zeichnet.
Die Auswirkung einer solchen Gewichtsverschiebung ist schrecklich. Nimm die Realität der Sünde weg, und du nimmst damit auch die Möglichkeit der Umkehr weg. Schaffe die Lehre der menschlichen Verdorbenheit ab, und du machst damit den göttlichen Plan der Errettung hinfällig. Wische die Bedeutsamkeit persönlicher Schuld beiseite, und du eliminierst damit die Notwendigkeit eines Retters.“[6]

Diese bleibende Notwendigkeit eines Retters ist aber exakt das, was bekennende Christen nicht aufgeben dürfen. Das Kreuz macht eine erstaunliche Aussage über Ehemänner und Ehefrauen: Wir sind Sünder, und unsere einzige Hoffnung ist die Gnade! Ohne ein klares Bewusstsein über Sünde werden wir unsere Konflikte außerhalb der biblischen Linien bewerten – und damit auch außerhalb des erfüllten Werkes Christi am Kreuz. Wenn wir das aber tun, eliminieren wir die Basis für echtes Verstehen, echte Versöhnung und auch echte Veränderung. Ohne das Evangelium von unserem gekreuzigten und auferstandenen Retter gleiten un-sere Ehen in die Oberflächlichkeit ab. Wir werden dann anfangen, uns Rechtfertigungskrücken für unser sündhaftes Benehmen zu basteln. Und unsere Ehekonflikte versuchen wir dann mit Hilfe von instabilen verhandelten Abmachungen zu lösen, die an der nächsten Ecke schon wieder gebrochen werden.

Wenn ich aber 1. Timotheus 1,15-16 als vertrauenswürdig erkenne, wenn ich es mit voller Annahme umfassen kann, wenn ich weiß, ich bin der schlimmste aller Sünder, dann ist mein Ehepartner nicht mehr das größte meiner Probleme: Ich bin es! Und wenn ich feststelle, dass ich in den Schuhen des größten aller Sünder unterwegs bin, werde ich jede Anstrengung unternehmen, um meinem Ehepartner dieselbe Gnade zukommen zu lassen, die Gott auch mir gegeben hat!

Das Schlimmste an der Sünde

An dieser Stelle magst du vielleicht sagen: ‚Dieser Typ hier denkt bei weitem zu viel nur an Sünde! Der schlimmste aller Sünder? Freund, entspanne dich und zieh den moralischen Stecker! Wo-rum geht’s dir letztlich?‘

Es geht darum, dass meine Sünde nicht in erster Linie gegen mich gerichtet oder gegen meine Ehe gerichtet ist. Alle Sünde ist zuerst gegen Gott gerichtet. Und das ändert alles!

Betrachte es auf diese Weise: Mein Status als ‚Ehemann‘ sagt etwas Wichtiges über mich aus, nämlich dass ich eine Frau habe. Diese meine Identität weist gleichzeitig auf die Realität eines anderen hin – auf meine Frau. Und das sagt gleichzeitig auch etwas darüber aus, was ich nicht bin. Denn wenn ich Ehemann bin, bin ich natürlich kein Single.

Jetzt ruf dir in Erinnerung, dass die Bibel eine besondere Art und Weise hat, menschliche Wesen zu beschreiben – als Sünder (Psalm 51,5; Römer 3,23; 5,12). Wir befinden uns alle gemeinsam in dieser Kategorie – nicht wirklich ein exklusiver Club! Die Bezeichnung „Sünder“ anzuerkennen, bedeutet, auch anzuerkennen, wie mein Status vor Gott ist. Und der bezeichnet zugleich auch, was ich nicht vor Ihm bin – nämlich ein neutraler Akteur, sondern ein Sünder. Durch meine ureigene Natur (die sündhaft ist) bin ich eine Beleidigung für die Natur Gottes (die vollkommen heilig ist).

Deshalb schließt die biblische Bezeichnung „Sünder“ ganz eindeutig mit ein, dass es jemanden gibt (mindestens einen), gegen den gesündigt wird. Wenn ich mich meiner Frau Kimm gegenüber vor den Kindern kritisch und abschätzig äußere, dann ist meine Sünde auch gegen die Kinder gerichtet, aber in viel stärkerem Maße gegen meine Frau. Was ich darüber hinaus aber sehen muss, ist, dass diese Sünde am allermeisten, und deshalb in erster Linie, gegen Gott gerichtet ist! Und das ist etwas, was diese eine Sünde mit jeder anderen Sünde, die jemals begangen wurde oder began-gen werden wird, gemeinsam hat. Jede Sünde, egal wie gering oder groß ihre offensichtliche Auswirkung auf Menschen ist, ist ein Gewaltakt gegen die Reinheit des vollkommen gerechten und heiligen Gottes. Sünde zielt immer zuerst und an vorderster Stelle gegen Gott (5. Mose 9,16; 1. Samuel 15,24; Psalm 51,4). Jerry Bridges bringt diese Wahrheit auf den Punkt, wenn er schreibt:

„Sünde ist falsch, nicht wegen dem, was sie gegen mich oder meinen Ehepartner oder meine Kinder oder meine Nachbarn tut, sondern weil sie ein Akt der Rebellion gegen den unendlich heiligen und erhabenen Gott ist.“[7]

Vor einigen Jahren wurde mir eine sehr subtile und destruktive Gewohnheit bewusst. Wann immer ich merkte, gegen meine Frau gesündigt zu haben, ging ich zu ihr, bekannte meine Schuld und suchte die Versöhnung. Hört sich ziemlich gut an, wenn ich das so beschreibe, oder nicht? Aber ich musste erkennen, dass meine Absicht dabei bei weitem nicht so nobel war. Ich wollte eine rasche und effiziente Wiederherstellung unserer Beziehung, damit ich aufhören konnte, mich schlecht zu fühlen, und mit meinen Sachen unbelastet weitermachen konnte. Mit anderen Worten, mein Bekenntnis war im Wesentlichen ein Werkzeug, das ich für mich selbst nutzte. Es war deshalb kein Wunder, dass ich oft mit diesem eigenartigen und mich verfolgenden Gefühl der Oberflächlichkeit zurückblieb, welches ich mittlerweile als vom Heiligen Geist bewirkt erachte.

Ich erkannte, dass in meinen Worten der Entschuldigung meiner Frau gegenüber Gott in überraschender Weise vergessen worden war. Ich sah, dass ich fast völlig vergessen hatte, dass meine Sünde in erster Linie gegen Gott gerichtet war und dass ich schuldig vor Seiner unendlichen Heiligkeit stand. Ich hatte meine Sünden als Irrtümer oder, schlimmer noch, als ‚kleine Sünden‘ betrachtet, die von meinem Herzen wenig Beachtung verlangten. Mein wirkliches Ziel war eine Art eheliche Schadensbegrenzung, nicht aber ein ehrliches Rechenschaft Ablegen vor meinem himmlischen Vater. Aber durch die Gnade Gottes begann ich zu sehen, was J.I. Packer so gut formuliert: „Es kann keine kleine Sünde ge-gen einen großen Gott geben.“[8]

Als diese biblische Realität mich mehr und mehr erfüllte, geschahen erstaunliche Dinge. Ich begann, echte Trauer für meine ‚kleinen Sünden‘ zu empfinden. Mein Bewusstsein von Gott und Seiner Gnade wuchs. In meiner Ehe begann ich, die sehr realen, aber weniger offensichtlichen Sünden zu bemerken, die ich regelmäßig gegen meine Frau beging; Sünden, mit denen ich mich ‚angefreundet‘ hatte, die jedoch nichtsdestotrotz allmählich unsere Beziehung austrockneten. Ich begann zu lernen, diesen Sünden zu widerstehen. Meine Sündenbekenntnisse und unsere Unterhaltungen über die Probleme in unserer Ehe fingen an, eine reichere und zufriedenstellendere Tiefe zu bekommen. Diese Unterhaltungen waren nicht immer leicht, aber definitiv hilfreich in unserer Beziehung. Ich war dahin gekommen, mich selbst, Gott und meine Ehe etwas klarer zu begreifen.

Schlimmster aller Sünder – Beste aller Welten!

Deshalb hier meine Schlussfolgerung: Ich bin ein besserer Ehemann und Vater und ein glücklicherer Mann, wenn ich mich selbst als schlimmsten aller Sünder erkenne. Dieser Status erscheint mir von Woche zu Woche offensichtlicher, zutreffender. Aber auch du bist der schlimmste aller Sünder! Und dein Ehepartner auch! Zumindest ist man hier am unteren Ende nicht einsam!

Fürchtest du, dass du mit dieser Beurteilung zu hart mit dir selbst sein könntest? Falls ja, dann denke daran, dass sogar Paulus sich als „schlimmster aller Sünder“ bezeichnete. Und diese grundehrliche Selbsteinschätzung offenbart, welch ein radikales Bewusstsein er von der Heiligkeit Gottes hatte. Denke aber auch daran, wer wir in Christus trotz unserer Sünde andererseits sind: Wir sind geschätzte Kinder des Vaters, der uns so sehr geliebt hat, um Seinen einzigen Sohn die Strafe für unsere Sünde erleiden zu lassen – selbst jener Sünden, die wir noch vor uns haben! Und denke dar-an, dass Gott am Wirken in dir ist und dich von innen heraus in ein echtes Abbild Christi umformt. Eine nüchterne Einschätzung deines sündhaften Zustandes behindert dieses Wirken nicht, sondern feiert es!

Die Frage, die mich immer fast verrückt werden ließ, war die-se: „Wenn ich meine Frau liebe, warum fällt es mir dann so leicht, sie zu behandeln, als liebte ich sie nicht?“ Darauf gibt es nur eine Ant-wort: Wir sind alle die schlimmsten aller Sünder, sodass wir durchgängig nichts anderes täten, als zu sündigen, wenn die Gnade Gottes dies nicht unterbrechen würde. Wir sollten dies Kapitel aber nicht abschließen, ohne die verborgene Gabe zu entdecken, die mit dieser Erkenntnis kommt: Es ist Demut – eine den Stolz zerbrechende und die Sicht reinigende Demut. John Owen schrieb: „Es gibt zwei Dinge, die dazu geeignet sind, Menschen demütig zu machen. Das eine ist eine gebührende Betrachtung Gottes und das andere eine Betrachtung unserer selbst. Die Betrachtung Gottes in Seiner Größe, Heiligkeit, Herrlichkeit, Kraft, Majestät und Autorität und die Betrachtung unserer selbst in unserem gemeinen, erbärmlichen und sündhaften Zustand.“[9]

Die Straße der Demut ist für alle Ehepartner offen, die bereit sind, der Frage, wer sie in den Augen eines heiligen Gottes wirklich sind, gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Ich möchte diese Straße auf jeden Fall nehmen. Ich weiß, das möchtest du auch, denn sonst würdest du dieses Buch nicht lesen. In den beiden ersten Kapiteln bist du nun einigen unangenehmen Wahrheiten begegnet. Ich hoffe, du verspürst dabei die Zusage Gottes, dass Er nach denen ausschaut, die ihre Sündhaftigkeit in Demut eingestehen. Es gibt nichts Schöneres, als ein Sünder zu sein, dem seine Schuld vergeben wurde und der deshalb erfüllt ist mit Dankbarkeit für sein Leben, sein Atmen, seine Errettung und jede andere Fürsorge. Dies ist in der Tat die einzige Perspektive, aus der heraus du anfangen kannst, dich selbst, Gott und auch deine Ehe zu sehen, wie es der Realität entspricht.

Aber bleib dran. Im nächsten Kapitel werden wir uns diese Dinge noch etwas genauer anschauen. Die Reise wird immer aufregender!


  1. Frodo und Mordor sind Figuren aus dem Buch „Herr der Ringe“ von J.R.R. Tolkien (Anm. der dt. Hrsg.).
  2. Luke Skywalker ist eine Figur aus der Filmserie „Star Wars“/„Krieg der Sterne“ (Anm. der dt. Hrsg.).
  3. Henry Scougal. The Life of God in the Soul of Man: or The Nature and Excellence of Christian Religion. Sprinkle Publications: Harrisonburg, VA, 1986. S. 81.
  4. Arnold A. Dallimore. Spurgeon, A New Biography. Banner of Truth: Edinburgh, 1987. S. 14.
  5. Diese z.T. sehr speziellen Begriffe sind Fachausdrücke aktueller psychologischer Modelle (Anm. der dt. Hrsg.).
  6. John F. MacArthur Junior. The Vanishing Conscience: Drawing the line in a No-Fault, Guilt-Free World. Word: Dallas, 1994. S. 11.
  7. Jerry Bridges, The Discipline of Grace: God’s Role and Our Role in the Pursuit of Holiness. NavPress: Colorado Springs, 1994. S. 193.
  8. J.I. Packer. Rediscovering Holiness. Servant Books: Ann Arbor, 1992. S. 135.
  9. John Owen. Sin and Temptation. Gekürzt und herausgegeben von James M. Houston. Regent: Vancouver, B.C, 1995. S. XVII.