Wenn Sünder sich das „Ja-Wort“ geben/Der Chirurg, das Skalpell und der sündige Ehepartner

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Inhaltsverzeichnis

Geistliche Chirurgie für Sünder

„Es geschah an einem späten Nachmittag …“ So beginnt der Bericht im 2. Samuel 11, 2. Es ist die Geschichte einer ganzen Reihe von verabscheuungswürdigen Taten wie Ehebruch, Hintergehung und Mord. Und das Ganze ist umso schockierender, weil diese Sünden von dem größten und ehrenwertesten König, den Israel jemals hatte, begangen wurden.

David, der Mann nach dem Herzen Gottes (1. Samuel 13,14), nahm außergewöhnliche Risiken in Kauf, um zunächst den Ehebruch mit Bathseba zu begehen und ihn danach zu verheimlichen. Als er erfuhr, dass sie von ihm schwanger war, brachte er ihren Mann Uria aus dem Krieg zurück nach Hause, um Bathsebas Schwangerschaft so darzustellen, als stamme sie von ihrem Ehemann. Als das nicht gelang, missbrauchte David seine königliche Autorität in extremster Weise und arrangierte die Ermordung Urias auf dem Schlachtfeld. Und um die Sache abzurunden, nahm er Bathseba neben den anderen zu seiner Frau.

Ein Jahr verging, Bathsebas Kind war geboren, und eine Strafe für Davids Sünde war nirgendwo zu sehen. Vielleicht dachte er sich, er hätte seine Gräueltaten gut versteckt und es wäre ihm gelungen, fast jeden zu täuschen – vielleicht sogar Gott. Problem gelöst – also weitermachen! Da er durch seine Machtstellung gut abgeschirmt war, konnte er sich sicher und geschützt fühlen und über Recht und Gesetz erhaben sein. Außerdem war er clever und schlau genug, unnötige Nachfragen abzufangen.

Aber David war voll auf Konfrontationskurs mit Gott und Seiner Gerechtigkeit. Eines Tages kam der Prophet Nathan, sein alter Freund, die Palasttreppen zu ihm hinauf, aber nicht zu einem Freundschaftsbesuch, sondern zu einer Rettungsmission!

Nathan stand vor einem Mann, den er liebte, aber kaum mehr erkannte – vor einem König, der betrog und gefährlich in Richtung Selbstzerstörung schlitterte. Der Prophet hatte keine Freude an den scharfen Worten, die in ihm hochkommen wollten. Er wusste auch nicht, wie David auf die Zurechtweisung reagieren würde. Wenn aber jemand, der dir nahe ist, vor der Wahrheit wegläuft, dann verlangt es die Liebe, ihn anzusprechen. Manchmal muss die Liebe um der Wahrheit willen auch den Frieden riskieren. David stand kurz davor, auf eine der härtesten Weisen geliebt zu werden. Und er musste noch nicht einmal sein Haus dafür verlassen.

Nathan erzählte David die Geschichte eines reichen Mannes, der das einzige Lamm eines Armen genommen hatte, um seine Gäste zu beköstigen. David war durch diese Ungerechtigkeit aufgebracht und erklärte, dass dieser Mann sterben müsse. Nathans zeitloser Verweis daraufhin lautete: „Du bist dieser Mann!“ (2. Samuel 12,7).

Ein Nathan ist nötig

In dieser historisch äußerst wichtigen Unterredung sehen wir zwei erstaunliche Kräfte am Wirken. Erstens: Gott geht Sündern nach. Gottes Liebe ist unnachgiebig. Selbst wenn die Sünde uns erblinden lässt, so lässt Gott nicht von uns ab. Gott ging David mit unermüdlicher Liebe nach.

Zweitens: Gott gebraucht Sünder, um Sündern nachzugehen. Nathan war, wie David auch, als Mensch denselben Versuchungen und Möglichkeiten des Versagens ausgesetzt. Gott hatte Nathan aber in diesem Augenblick einen bestimmten Dienst gegeben; er war ein Sünder, der aufgefordert war, einem anderen Sünder zu helfen, mit Gott wieder versöhnt zu werden.

Nathans Rolle bei der Wiederherstellung Davids deutet schon im Voraus auf das Evangelium hin. Denn Jesus, der Sohn Gottes, kam später ebenfalls, um uns mit unserer Sünde zu konfrontieren. Durch Sein Opfer am Kreuz nahm Er unsere Sünde hinweg und versöhnte uns mit Gott (Römer 5,19). Wie wir in diesem Buch bisher gelernt haben, leitet sich aus dieser empfangenen Gnade für uns ab, dass auch wir als Nachfolger Christi anderen voll und frei Vergebung gewähren dürfen. Nun gehen wir aber weiter, nämlich zur biblischen Konfrontation und Zurechtweisung – mit dem Ziel der Versöhnung.

Paulus sagt uns in 2. Korinther 5, dass uns ein Dienst der Versöhnung gegeben ist. Dabei handelt es sich um die Versöhnung zwischen einem Sünder und Gott und auch zwischen einem Sünder und demjenigen, gegen den er gesündigt hat. Dieser Versöhnungsdienst bezieht sich aber nicht nur auf die Feinde Gottes, zu deren Errettung wir hinarbeiten. Sondern – und darauf konzentriert sich dieses Kapitel – dieser Versöhnungsdienst betrifft auch die Kinder Gottes, die in Sünde gefallen sind und darin möglicherweise sogar verharren – bewusst oder unbewusst. Sie wollen in ihrer Beziehung zu Gott wachsen, können es aber nicht. Wem auch immer unser Dienst der Versöhnung gilt: Gott macht uns für unsere Mitchristen zu einem buchstäblichen Appell (2. Korinther 5,17-21).

Darüber hinaus sagt uns Jakobus, dass wir um der Gerechtigkeit willen auch Friedensstifter sein sollen (Jakobus 3,18). Dies bedeutet, dass wir unsere Beziehungsbande gebrauchen, um einzuschreiten und unseren Brüdern und Schwestern zu helfen, auch der Würde ihrer Berufung entsprechend zu leben. Charles Spurgeon betont diesen Punkt stark, indem er schreibt: „Unsere Liebe sollte der Liebe Gottes an einem Punkt besonders folgen, nämlich beständig danach zu trachten, Versöhnung zu bewirken. Denn zu diesem Zweck sandte Gott Seinen Sohn.“[1]

Bist du nicht auch dankbar für die Tatsache, dass Nathan den Mut hatte, einem König mitten hinein in sein Lasterleben die Wahrheit zu überbringen? Wahrscheinlich werden wir durch unsere Sünde nicht Königreiche ins Wanken bringen, aber die Auswirkungen verdeckter Sünde schaden auch uns in zerstörerischer Weise. Und dabei werden unsere Familien, Freundschaften, Gemeinden und Dienste ebenfalls schwer in Mitleidenschaft gezogen. Auf die Länge der Zeit gesehen können auch moralische Fehlhaltungen, die sich im Vergleich zu Davids Sünde recht bescheiden ausnehmen, tiefen Schaden bewirken. Wir brauchen alle einen Nathan. Wir brauchen alle jemanden, der uns unser langsames Abdriften oder sogar unseren rapiden Absturz weg von Gott vor Augen hält und sagt: „Du bist derjenige!“.

Das ist unvermeidbar. Auf unserer Reise durch diese gefallene Welt, mit einem sündigen Herzen in unserer Brust und einem Ehepartner, der von Zeit zu Zeit immer wieder mal in ein bestimmtes Sündenmuster verfällt, will die Freude oft ersticken und der Friede zerbrechen. Dabei fühlt sich dein Partner sogar versucht, seine wirklich begangene Schande zu verleugnen und alles Mögliche zu tun, um sie zu verbergen. Solche Art Sünde kann nicht und darf nicht unangesprochen bleiben.

Schau dich um: Wer kann für deinen Ehepartner die Rolle Nathans übernehmen? Wer wird diesen Dienst der Wiederherstellung für ihn oder umgekehrt auch für sie tun? Das muss jemand sein, der von Gott dazu berufen ist, der nahe genug dran ist und der demütig genug ist, sich mehr um Gottes Gerechtigkeit zu sorgen als um die Meinung anderer Menschen. Es gibt dafür wirklich nur einen wahrscheinlichen Kandidaten: dich!

Was wirst du in solchen Zeiten, in denen Wahrheit absolut notwendig ist, tun? Was wirst du tun, wenn dein Ehepartner einen Nathan braucht?

Bei der Selbstprüfung nicht stehenbleiben

Lasst uns, um diese Frage zu beantworten, zur Aussage von Matthäus 7 zurückkehren, nämlich zum Splitter und zum Balken. Wir haben darüber schon in Kapitel 4 dieses Buches gesprochen und gesehen, dass bei einer Konfrontation die Selbstprüfung und der Eigenverdacht das Allerwichtigste ist. Zuerst ist die Entfernung des Balkens aus unserem eigenen Auge wichtig. Aber das ist natürlich nur der Anfang.

„Was aber siehst du den Splitter, der in deines Bruders Auge ist, den Balken aber in deinem Auge nimmst du nicht wahr? Oder wie wirst du zu deinem Bruder sagen: Erlaube, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen; und siehe, der Balken ist in deinem Auge? Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge! Und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus deines Bruders Auge zu ziehen“ (Matthäus 7,3-5; Betonung vom Autor hinzugefügt).

Nun scheint es dir klar zu sein, oder? Dieser Abschnitt hört nicht beim Entfernen des eigenen Balkens auf. Das Entfernen des groben Holzes ist Mittel zu einem noch größeren Zweck.

Der zitierte Abschnitt liefert uns zwei Gründe dafür, warum wir mit unserem Balken beginnen müssen. Zum einen, weil es uns in die Lage versetzt, „klar zu sehen“ (Vers 5). Allein die Demut, zuerst meine eigene Sünde auszuräumen, verschafft mir die notwendige Klarheit, mich mit der Sünde des anderen zu befassen. Diese Demut verbessert mein Beurteilungsvermögen und räumt den Unrat aus dem Weg, der meinen Blick verstellt hat. Wir werden in diesem Leben niemals mit hundertprozentiger Schärfe und Genauigkeit sehen können. Aber wenn ich meinen Balken entferne, kann ich anstatt durch die verengende Linse meiner Selbstgerechtigkeit nun durch die Linse der Barmherzigkeit und der Fürsorge blicken.

Wir sehen, Holzfällerarbeit vor unserem eigenen Fenster ist etwas sehr Gutes. Sie eröffnet einen wunderbaren Durchblick, der ganz und gar Jesu Ziel mit uns entspricht. Denn Er will, dass wir dem anderen sehr gut dienen können, ganz besonders dem eigenen Ehepartner. Die Selbstprüfung alleine reicht aber noch nicht aus, eine Ehe zu bessern. Sie ist notwendig, um genug Licht zu bekommen und klar sehen zu können. Aber das allein entfernt noch nicht den Splitter aus dem Auge meines Partners. Das Holzfällen vor meinem eigenen Auge befähigt mich zwar dazu, aber nun muss ich mich auch an die Arbeit machen.

Das Werk von Gnade und Wahrheit

Maurice hat weder Ehebruch begangen noch einen Mord. Er hat nichts zu verbergen. Und doch braucht Maurice seinen Nathan.

Seine Firma, in der er beschäftigt ist, baut Stellen ab. Auch sein Job steht auf dem Prüfstand, und Maurice ist unruhig. Die Zukunft ist unsicher, und freie Stellen auf seinem Gebiet sind dünn gesät. Zuhause verrät seine Miene seine Sorge. Essenszeiten, die einmal sehr lebendig abliefen, sind nun geprägt von langen Seufzern und noch längerem Schweigen. Fragt seine Frau bei ihm nach, dann antwortet Maurice nur, dass er jetzt Zeit brauche, um nachzudenken. Genau wie David erkennt er sein geistliches Abrutschen nicht. Aber Maurice ist am Schlingern und rutscht langsam, aber sicher in eine Welt der Sorge. Er überlegt hin und her und grübelt unentwegt über seine Situation nach. Das aber blockiert ihn und raubt ihm seine innere Freiheit. Er kann nicht mehr objektiv abwägen und klare Gedanken fassen, sondern ein Strudel der Angst hat ihn fortgerissen.

Maurice spricht aber immer noch vom Vertrauen auf Gott und von seinem Glauben. Seine diesbezüglichen Kommentare klingen jedoch dahergesagt und scheinen eher Verpflichtung als Überzeugung zu sein; sie verbergen den wahren Kampf in ihm. Seine schlaflosen Nächte offenbaren die Wirklichkeit: Maurice sieht sich in seinen Vorstellungen bereits arbeitslos, das Haus zwangsversteigert und seine Familie bettelnd auf der Straße. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn; Maurice liegt alleine im Dunkeln – wie ein Mensch, der keinen Gott hat.

Maurice benötigt das Verständnis einer liebenden Frau, die seine Belastung mitempfindet. Sie muss für ihn beten und ihn in seinem Bemühen, seine Familie zu leiten und zu ernähren, ermutigen. Er braucht aber noch etwas anderes von ihr. Er braucht sie als seinen Nathan, der ihn kennt und ihn genug liebt, um seinem Sorgen – das ja Gott verneint – sorgfältig Wahrheit zuzuführen. Er braucht jemanden innerhalb seines Zuhauses, der nicht nur auf Gottes Verheißungen vertraut, sondern diese auch liebevoll mit Überzeugung aussprechen kann.

Es ist doch interessant, in welcher biblischen Spannung Sünder leben, die einander das Ja-Wort gegeben haben. Sie sollen einerseits voll und ganz barmherzig und absolut nicht verurteilend sein. Auf der anderen Seite jedoch sollen sie einander herausfordern, ermahnen, korrigieren und zurechtweisen. Sie sollen ausgerechnet dem, den sie am meisten lieben, die Wahrheit sagen (Hebräer 3,12-13). Dies mag paradox erscheinen, es scheint vielleicht sogar ein Gegensatz zu sein. Das ist es aber nicht. Im Gegenteil, Gott hat uns zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt mit einer ganz bestimmten Person in einer Ehe zusammengebracht, damit wir aneinander einen phantastischen Dienst tun können. Wir können den Ruf zur Versöhnung erfüllen – indem wir einen abdriftenden Gläubigen zu Gott, dem Retter, zurückbringen. Wir können lieben, indem wir Wahrheit auf gnädige Weise vermitteln. Wir können Gnade darreichen, indem wir die Wahrheit nicht zurückhalten, sondern sie in Demut aussprechen. Erfüllen wir diesen Dienst, dann sind wir nicht nur ein Nathan für den anderen, wir repräsentieren dadurch auch den Herrn Jesus Christus, der voller Gnade und Wahrheit unter uns gewohnt hat (Johannes 1,14).

Nun gut, aber wie genau macht man das, einander in Gnade und Wahrheit dienen?

Der Chirurg und der Heilige

Matthew Henry sagte einmal: „Die drei Qualifikationen, die ein guter Chirurg haben sollte, sind dieselben, die auch der besitzen sollte, der einem anderen einen Tadel erteilt: Er sollte das Auge eines Adlers, das Herz eines Löwen und die feinfühlige Hand einer Dame haben. Oder kurz: Er braucht Weisheit, Mut und Milde.“[2]

Dieser große Puritaner hat hiermit eine wunderbare Aussage gemacht. Tadel – das Mittel, wodurch Nathan in die Seele eines in Sünde gefangenen Königs eindringt, um den Dienst der Versöhnung auszuüben – ähnelt sehr der Chirurgie. Für beides braucht es Weisheit und Genauigkeit ebenso wie eine feinfühlige und entschlossene Hand.

Selbstverständlich war das Einzige, was die Chirurgie damals vor 300 Jahren, als Matthew Henry diese Worte schrieb, mit der Chirurgie unserer Tage gemeinsam hatte, das Ziel, Menschen durch einen Eingriff in ihren Körper wieder gesund zu machen. Es gab damals keine mikrochirurgischen Techniken, keine Anästhesie oder Arthroskopie, keine Sterilisation, kein Wissen über Krankheitskeime oder Antibiotika. Es war ein raues und grausames Geschäft. Dennoch haben sich die Ärzte jener puritanischen Ära der Aufgabe körperlicher Heilung und Fürsorge mit allem, was ihnen zur Verfügung stand, hingegeben. Sie waren sich bewusst, dass sie nur wenige Zusammenhänge verstanden, und doch waren sie sehr hingebungsvoll dabei, alles zu lernen, was sie konnten, um so gut wie möglich helfen zu können.

Wenn es nun um Seelen-Chirurgie geht, dann sind wir den Ärzten jener Zeit recht ähnlich. Wir verstehen uns selbst kaum, wie könnten wir also jemand anderen verstehen? Das eine, was wir genau wissen, ist doch, dass wir nicht einmal wissen, was wir nicht wissen! Unser Fachwissen scheint so unzureichend, dass wir uns ernsthaft fragen, ob es für den „Patienten“ nicht weniger schmerzhaft wäre, wenn wir überhaupt nichts unternehmen würden.

Darin sind wir uns alle gleich – und dennoch sind wir zu einer speziellen chirurgischen Aufgabe berufen. Wir sind von Gott dazu ernannt, unsere noch so dürftigen Fähigkeiten einzusetzen und Ihm dabei hinsichtlich des Ergebnisses zu vertrauen. Die wesentlichen Instrumente für diese Arbeit haben sich dabei niemals verändert: Weisheit, Mut und Milde.

Ein guter Chirurg zeigt Weisheit

An dieser Stelle will ich einen kurzen Abschnitt aus ‚Harveys Chirurgischen Berichten‘ einfügen; aus ihnen geht hervor, wie man bei einem anderen Korrektur besser nicht anbringt.

Es war ein wirklich nettes Restaurant, eines, in dem einem die Mäntel abgenommen werden und man von einem Ober im Frack zum Platz geführt wird. Danach wird man höflich gefragt, welches Mineralwasser man bevorzugt. Kerzen brannten, an den Wänden hingen Originalgemälde, und klassische Musik erfüllte den Raum. Ein rascher Blick auf die Menükarte offenbarte die Tatsache, dass man für das Ambiente teuer mitbezahlen musste (wenigstens waren die Preise für die Gerichte angegeben!). Aber das machte nichts, ich wollte mit meiner Frau doch einen schönen Abend haben, an den man sich lange erinnern würde.

Und er war in der Tat denkwürdig, wenn auch nicht exakt so, wie ich mir das erhofft hatte.

Hätte ich eine Liste von übermenschlichen Kräften dabeigehabt, von denen ich mir eine hätte auswählen können, dann hätte ich die Fähigkeit gewählt, dumme Aussagen im selben Moment, in dem sie einem über die Lippen kommen, wieder zurücksaugen zu können. Ich hätte diese magische Kraft an jenem Abend gut gebrauchen können, als ich meiner Frau einige Dinge darlegte, die ich an ihr seit einiger Zeit beobachtet hatte und die ich mir „für den rechten Augenblick“ aufgespart hatte. Doch jener Abend sollte nicht der rechte Augenblick gewesen sein, noch nicht einmal annähernd. Stattdessen erlebten wir lediglich einen sehr teuren Konflikt. Nichts verdirbt ein gutes Abendessen so sehr wie ein schlechter Streit.

Ein weiser Chirurg wird den rechten Zeitpunkt wählen. Aber feine Restaurants und Seelen-Chirurgie passen nicht zusammen, zumindest nicht für Kimm und mich. Dass ich jenen Abend aussuchte, um die heikle Aufgabe eines chirurgischen Eingriffs bei meiner Frau vorzunehmen, war wirklich keine große Weisheit.

„Der Weisheit Anfang ist: Erwirb dir Weisheit! Und mit allem, was du erworben hast, erwirb dir Verstand!“ (Sprüche 4,7). Das ist klar genug gesagt, aber was ist Weisheit? Wie wir im vierten Kapitel gesehen haben, beginnt Weisheit mit der Gottesfurcht – indem wir ein Leben führen, das auf die Herrlichkeit Gottes ausgerichtet ist. Oder, wie J.I. Packer es ausgedrückt hat: „Wir können keine Weisheit von Gott erhalten, ehe wir nicht demütig und belehrbar geworden sind und in der Furcht Gottes verharren. Erst müssen wir unser eigenes Geringsein erkennen, unsere eigenen Gedanken in Frage stellen und bereit sein, uns geistlich total umzustellen.“[3]

Die Vorgehensweise des Nathan bei David zeigt biblische Weisheit. Nathan wartete auf den richtigen Zeitpunkt, begab sich dann zum Palast, um seinen alten Freund, den König, zu sehen. Er gebrauchte eine weise Methode, indem er die Geschichte von dem gestohlenen Lamm erzählte. Auf diese Weise wollte er David ganz sachte dazu bewegen, sich selbst zu betrachten. Obwohl sanft, zeigt Nathan aber dennoch schonungslos das Wesen der Sünde dessen, der sie begangen hat. David hätte natürlich auch negativ reagieren und dem Nathan anschließend das Leben schwermachen können. Aber Nathan ging das Risiko ein. Warum? Weil er Gott mehr fürchtete als David. Nathan war ein weiser Mann, dem die Interessen Gottes über alles andere gingen.

Um bei der Konfrontation mit Sünde wirklich weise zu werden, gibt es eine Reihe von wichtigen chirurgischen Techniken.

Hier sind sie:

Patienten müssen sich bewusst sein, dass sie Hilfe brauchen

Stell dir vor, ein Chirurg geht auf einer stark bevölkerten Straße direkt auf Menschen zu und bietet seine Dienste mit den Worten an: „Entschuldigen Sie, mein Herr, gibt es irgendetwas, das ich heute aus Ihnen herausschneiden kann?“ Diese Vorgehensweise wird sehr wahrscheinlich eher die Ordnungshüter auf den Plan rufen, als gute Operationen hervorbringen. Wir wissen alle, dass Chirurgen ihre Patienten nicht mit dem Schleppnetz einfangen. Sie operieren diejenigen, die es aufgrund ihrer Diagnose auch wünschen.

Ehen werden sehr ‚säuerlich‘, wenn Ehepartner sorglos und willkürlich oder auch ohne ausdrückliche Zustimmung des „Patienten“ ihre chirurgische Tätigkeit verrichten wollen. Ehen werden jedoch viel lieblicher, wenn die Ehepartner erkennen, dass wahrscheinlich jeder von ihnen von Zeit zu Zeit korrigierende Eingriffe benötigt, und sie sich deshalb gegenseitig die Erlaubnis geben, das Skalpell im Bedarfsfall auch anzusetzen.

Eine ausgezeichnete und demütige Weise, wie wir unserem Partner gegenüber unsere Bereitschaft signalisieren können, dass er gerne das biblische Messer bei uns anlegen kann, besteht darin, ihm generell die Erlaubnis dazu zu erteilen. Du kannst deinen Partner sogar grundsätzlich darum bitten, dich zu korrigieren, wenn er es für nötig empfindet. Dies wird deinem Ehepartner deutlich machen, dass du eine Operation willst, wenn es einer bedarf. Mein Freund Mark fragt mich oft, ob ich Dinge an ihm beobachte, die nicht gut sind und über die ich mir Gedanken mache. Er ist in dieser Hinsicht ein „Modellpatient“, dessen Beispiel ich in meine Ehe übertragen möchte. Es ist mir wichtig, dass Kimm weiß, dass ich Korrektur möchte und sie nicht einfach nur toleriere. Wenn ich Korrektur suche, weiß sie, dass sie die Möglichkeit hat, zu operieren, weil mir bewusst ist, dass ich Hilfe benötige!

Niemals blind schneiden

Falls jemand aus deinem Bekanntenkreis sich kürzlich einer Operation unterziehen musste, weißt du wahrscheinlich, wie weitreichend die medizinischen Untersuchungen waren, die stattfanden, bevor der Patient auch nur in die Nähe des Operationssaales gelassen wurde. Zahlreiche Kontrollen werden durchgeführt, Ärzte konsultieren einander, vorbereitende Medikamente werden verabreicht. Zyniker sagen manchmal, dies geschehe nur, um sich vor Prozessen zu schützen, aber wir sehen dabei viel Weisheit am Werk. Je besser die Vorbereitung, umso wahrscheinlicher wird der Erfolg der Operation. Dies gilt auch für die Operation der Zurechtweisung. Je besser wir darauf vorbereitet sind, die Wahrheit auszusprechen, umso wahrscheinlicher wird zu Herzen genommen werden, was wir sagen. Das exklusive Restaurant-Erlebnis mit Kimm, auf das ich so sehr gehofft hatte, ging nur deshalb so schrecklich daneben, weil ich versucht hatte, blind zu schneiden. Ich möchte einige diagnostische‚ ‚prä-operative‘ Fragen beantworten, die uns helfen können, weise zu operieren, wenn die Zeit für eine ‚chirurgische Zurechtweisung‘ gekommen ist.

unserer operativen Begrenzungen bewusst – wir können operieren, aber wir können nicht heilen; wir können sprechen, aber wir können nicht von Sünde überführen. Dies kann nur Gott (Johannes 16,8). Gebet bringt die Gottesfurcht in den Vordergrund, und dies ist der Anfang der Weisheit. Wenn wir uns an Gott anbinden, bevor wir uns auf den Sünder zubewegen, dann wird es deutlich einfacher, ihn zu Ihm zu ziehen.

während der Erholungsphase ein paar Tage die Temperatur messen, und danach ist der Zorn verschwunden, hinterlässt höchstens eine kleine Narbe, an der man erkennt, dass es ihn einmal gegeben hat! Aber wie das mit Illustrationen immer so ist, hinkt natürlich auch mein Vergleich mit der Chirurgie etwas. Denn das Leben verläuft anders. Veränderung geschieht nicht im Handumdrehen, sondern ist ein Prozess inmitten des hektischen Alltags. Während unser Inneres mit den Verwundungen einer geistlichen Operation kämpft – sprich: wir mit unserem Zerbruch zu tun haben –, müssen Rechnungen bezahlt und die Kinder versorgt werden. Deshalb sei vorsichtig und operiere nicht an zu vielen Stellen deines Partners gleichzeitig. Ein guter Chirurg vergisst dies nicht!

oftmals befördert die Wucht unserer Vorwürfe den Partner über ein Überführtsein hinaus direkt in die eiternde Infektion der Verdammung. Wir wollen häufig eine „Ruck-Zuck- Erledigung“ der Angelegenheit, aber „Gott setzt zu einer langsamen Antwort an“[4]. Die Gnade der Weisheit lässt mich erkennen, dass ein wohlüberlegtes Wort, sorgsam an den Mann beziehungsweise an die Frau gebracht, gute Medizin ist. Sonst bist du dabei, eine Seele aufzuschneiden! Geh langsam voran und schneide behutsam!

Ehepartners haben. Zu meinen, man könne es dennoch, ist richtend – das Urteilen ist aber Gott vorbehalten. In Seiner geheimnisvollen Weisheit und Barmherzigkeit gibt Er uns keinen absoluten Einblick in das Herz des anderen. Das gilt auch für zwei Menschen, die aufs Engste miteinander vertraut sind. Niemand, nur der Herr, kann das menschliche Herz wirklich ganz ergründen (Jeremia 17,9-10). Deshalb ist die hilfreichste Behandlung diejenige, die fragt und nicht feststellt. Der konstruktivste Tadel ist der, der nicht mit dem Urteil, sondern mit Fragen beginnt, die er offen lässt. Das ermöglicht den Dialog und gibt Raum, dem Problem gemeinsam auf den Grund zu gehen.

ein paar Pfunde vom Bauch entfernen!“ Unsere beste Zurechtweisung ist die, die dem Partner hilft, Gottes Wort zu erkennen, es zu Herzen zu nehmen und anschließend entsprechend zu handeln. Unsere Beobachtungen sollten darauf ausgerichtet sein, zu Gottes Wahrheit zu führen, nicht sie durch unsere subjektive Meinung zu ersetzen.

Ein guter Chirurg hat Mut

Wir haben festgestellt, dass Nathan einiges an Weisheit benötigte, um David zu konfrontieren. Es bedufte aber auch großen Mutes, in den Palast zu marschieren und Wahrheit auszusprechen. Es war riskant, einen König zu tadeln, der bereit gewesen war, zum Verdecken seiner Sünde einen Menschen zu töten. Wie riskant genau, konnte Nathan allerdings nicht wissen. Doch das Wohlergehen einer ganzen Nation begleitete Nathans mutige Entscheidung, dieses „Du bist der Mann“ auszusprechen.

Zu wahrer, biblischer Weisheit gehört meistens auch eine große Portion Mut, wenn wir im Glauben vorangehen und Gott in allen Dingen gefallen wollen. Mag sein, dass das Leben einfacher erscheint, wenn wir bestimmte unbequeme Wahrheiten umgehen und der Sünde nur zuwinken. Doch werden wir stets das ernten, was wir säen (Galater 6,7-9). Säen wir liebevoll Ehrlichkeit und kümmern uns mutig um das Wohl der Seele des anderen, dann werden wir Gottesfurcht ernten. Gehen wir aber den Konflikten aus dem Weg, werden wir dennoch Konfrontation bekommen. Denn Sünde, die nicht angesprochen wird, setzt sich ungestört fort. Mit diesem Versuch, Frieden zu säen, ernten wir Krieg.

Doch braucht der geistliche Chirurg noch eine zweite Art des Mutes. Wenn die erste Art darin besteht, die Operation ohne Angst zu beginnen – also das Skalpell an der sterilisierten Haut entlangzuführen, bis zum ersten Schnitt –, dann bewirkt die zweite Art von Mut das zupackende Weiterarbeiten bis zur Vollendung der Operation. Und danach muss der Patient noch solange fürsorglich betreut werden, bis die Rekonvaleszenzzeit vorüber ist. Das ist der Mut, der dich in diesem persönlichen Dienst am Ball bleiben lässt, lange nachdem wir angefangen haben, etwas anzusprechen.

Häufig jedoch haben Paare die Tendenz, Konfrontation wie eine Handgranate zu gebrauchen: Sie ziehen den Sicherungsstift, werfen die Granate und suchen Deckung. Aber biblische Zurechtweisung ist nicht eine Art Kommandoattacke; sie ist sorgfältige, hingegebene, chirurgische Sorge um eine Seele. Ein guter Chirurg wird den Patienten bis nach der Operation und auch durch die Phase danach begleiten. Und warum dies alles? Weil Gott uns durch Zurechtweisung und Umkehr auf den Weg der Rechtschaffenheit führen will – und nicht einfach nur, weil wir streitfreie Ehen haben wollen. Umkehr und Veränderung jedoch, meine Freunde, brauchen nun einmal Zeit. Wenn Sünder sich das Ja- Wort geben, dann müssen wir uns auf diesen lebenslangen Prozess der gegenseitigen Hilfe einlassen, um das ersehnte Wachstum auch zu erleben.

Mutige Chirurgen fördern Umkehr

Im Jahr 1517 nagelte Martin Luther etwas an die Kirchentür zu Wittenberg, was wir heute als selbstverständliche Wahrheiten der Schrift ansehen, die damals vernachlässigt worden waren. Als die etablierte Kirche es versäumte, sich mit Luther und seinen zentralen Lehransprüchen zu arrangieren, führte dies zu einer großen Kontroverse, die wir gemeinhin als die Protestantische Reformation bezeichnen. Luther entnahm der Heiligen Schrift die Wahrheiten, die die Kirche vergessen hatte, und formte sie zu 95 sogenannten Thesen. Welche finden wir an oberster Stelle? Sie lautet so: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht: ‚Tut Buße‘ usw. (Matthäus 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll.“[5] Luther sprach hier ein bloß zeremonielles und blutleeres System religiöser Sündenvergebung an. Nach seinem Verständnis, wie er es in Gottes Wort gefunden hatte, sollte eine angemessene Reaktion auf das Werk Christi am Kreuz darin bestehen, sich konkret von der Sünde und Selbstsucht abzuwenden und vor Gott ein Leben in Umkehr zu führen. So wuchs die protestantische Kirche in erster Linie deshalb, weil sie die Lehre von der Rechtfertigung allein aus Glauben wiederentdeckte. Diese Lehre beinhaltete die wesentliche (und immer noch gültige) Einsicht darüber, wie Menschen Veränderung erfahren.

Damit du deinem Ehepartner in Momenten der Konfrontation wirklich fürsorglich begegnen kannst, müssen deine Worte und Darlegungsweisen darauf abzielen, Buße zu fördern. Da dieses Wort oft missverstanden wird und du eventuell meinst, dein Partner müsse nun seine Kleidung erst einmal gegen Sack und Asche eintauschen, möchte ich zunächst erklären, was Gott darunter versteht.

Buße beziehungsweise Umkehr bedeutet nicht, sich krankhaft mit sich selbst zu beschäftigen, sich mit jeder Nuance der eigenen Persönlichkeit zu befassen und vielleicht auch noch jeden Gedanken und jedes Wort manisch auf Sünde zu untersuchen. Wie wir an Jeremys Beispiel im letzten Kapitel gesehen haben, geht es bei der Umkehr letztendlich nicht um uns, sondern um Gott. Es geht darum, sich so sehr mit Ihm zu beschäftigen, mit Seinem heiligen Wesen und mit dem, was Er in Jesus Christus für uns getan hat, dass durch dieses Betrachten in uns eine aktive Sehnsucht entsteht, uns von Sünde fernzuhalten und die Gerechtigkeit zu suchen. Ein Teil der guten Nachricht des Evangeliums ist doch die Tatsache (wie wir im nächsten Kapitel noch mehr sehen werden), dass die Gnade, die uns durch das Kreuz gereicht wird, nicht statisch ist. Nein, sie ist dynamisch. Sie entspringt am Kreuz und geht unentwegt umher mit einer tief eindringenden, chirurgischen Kraft, damit unser Leben und unsere Ehen Gott gefallen und wir eines Tages auch unser himmlisches Zuhause erreichen (Judas 1,24).

Durch unsere Umkehr kooperieren wir also mit Gott und nehmen in Seinem wunderbaren Wirken eine wichtige Rolle ein. Und Er erwartet, dass wir sie auch aktiv ausfüllen. Denn die nötige Kraft gibt Er uns dazu. Und so fordert Er uns auf: „Bewirkt euer Heil mit Furcht und Zittern!“ (Philipper 2,12), „Tötet nun eure Glieder, die auf der Erde sind!“ (Kolosser 3,5) und „Wandelt im Geist“ (Galater 5,16), „damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnen“ (Titus 2,12). Buße wünscht sich also nicht nur Veränderung, sondern handelt auch entsprechend!

Ich möchte nicht, dass mein Ehepartner jemals durch meine Ernsthaftigkeit zu der Überzeugung gelangt, dass meine guten Absichten ihm irgendeine Kraft zur Veränderung verleihen könnten. Ich möchte, dass mein Liebling – wenn Sünde vorliegt – zu Gott umkehrt und Buße tut. Ich möchte nicht, dass meine Worte den Partner so auf seine Sünde fokussieren, dass er „gelähmt“ wird. Ich will ihn nicht dazu verführen, sich mehr mit seinem Problem zu beschäftigen, als seinem Gott zu begegnen. Das heißt, Konfrontation ist keine Angelegenheit nach dem Motto „So, jetzt habe ich dich aber!“

Ich wünsche mir, dass mein Ehepartner dem Heiligen Geist begegnet, der gesandt ist, um die Welt von Sünde zu überführen (Johannes 16,8). Dadurch soll er die reinigende und Glauben stärkende, von Gott gewirkte Trauer über seine Sünde erleben. Das ist es, was wir an David sehen, als er die Schwere seiner Sünde zu begreifen beginnt. „Ich habe gegen den Herrn gesündigt“ (2. Samuel 12,13). Paulus beschreibt den Korinthern diese göttliche Betrübnis so:

„Denn wenn ich euch auch durch den Brief betrübt habe, so reut es mich nicht. Wenn es mich auch gereut hat, so sehe ich, dass jener Brief, wenn er euch auch kurze Zeit betrübt hat, doch Segen gewirkt hat; und jetzt freue ich mich, nicht dass ihr betrübt worden, sondern dass ihr zur Buße betrübt worden seid; denn ihr seid nach Gottes Sinn betrübt worden, damit ihr in keiner Weise von uns Schaden erlittet. Denn die Betrübnis nach Gottes Sinn bewirkt eine nie zu bereuende Buße zum Heil; die Betrübnis der Welt aber bewirkt den Tod“ (2. Korinther 7,8- 10).

Nach Paulus bedeuten Trauergefühle allein also nicht notwendigerweise auch ein Überführtsein. Wir können aus vielen Gründen betrübt sein, auch aus egoistischen. Wir können trauern wegen der üblen Konsequenzen unserer Sünde, weil wir dabei erwischt wurden oder weil wir jemandes Respekt verloren haben. Diese Art weltliche Betrübnis drückt nicht aus, welch gräuliche Straftat die Sünde wirklich ist, und kann deshalb auch nicht zur Veränderung beitragen. Nur gottgewirkte Trauer bringt Umkehr. Und die ist das Ergebnis des chirurgischen Eingriffs, den die Wahrheit Gottes an unserem sündigen Herzen vorgenommen hat.

Ein guter Chirurg zeigt Milde

Milde oder Sanftmut ist ein großartiges Wort des Evangeliums. Jesus sagte: „Glückselig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben“ (Matthäus 5,5). Paulus sagte: „Zieht nun an als Auserwählte Gottes, als Heilige und Geliebte: herzliches Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Langmut!“ (Kolosser 3,12). Und Jakobus schreibt: „Deshalb legt ab alle Unsauberkeit und das Übermaß der Schlechtigkeit und nehmt das eingepflanzte Wort mit Sanftmut auf, das eure Seelen zu erretten vermag!“ (Jakobus 1,21).

Sanftmut hat nichts damit zu tun, schwach oder passiv zu sein. Sanftmut ist Kraft, umgürtet mit Liebe. Sie ist ein Ausdruck von Demut, die sich nicht sträubt oder verteidigt, wenn sie wegen ihrer Motive in Frage gestellt wird. Eine sanfte Person wird vielmehr erkennen, dass sie durchaus selbstsüchtige Motive haben könnte und sie sich daher prüfen muss. Diese Frucht des Geistes hilft uns dabei, unseren Zorn zurückzuhalten, die Zunge zu zügeln und den Frieden zu bewahren. A.W. Tozer sagte: „Der Sanftmütige … hat … eine Ruhestätte für seine Seele gefunden. Während er sich in Sanftmut übt, überläßt er es gerne Gott, ihn zu verteidigen. Der alte Kampf, sich selbst verteidigen zu müssen, ist vorbei. Er hat den Frieden gefunden, den die Sanftmut mit sich bringt.“[6]

In der Ehe bedeutet Sanftmut auch nicht, schwach oder verletzlich zu sein. Nein, Sanftmut in der Ehe bedeutet, sich für den Partner aufzuopfern und ihm ergeben zu sein, damit ihm geholfen wird. Ein sanftmütiger Mensch erkennt deshalb die Sinnlosigkeit, auf Sünde mit Sünde zu reagieren.

Du kennst das: Dein Partner sagt etwas, absichtlich oder unabsichtlich, was deine Seele wie ein Schlag in die Magengrube trifft. Du fühlst dich überfallen, abgelehnt und bloßgestellt. Sofort bildet sich in dir eine Gegenstrategie, die der Landung der Alliierten ähnelt. Du willst deinen Mund laden und den Abzug ziehen. Du möchtest sofort eine Reihe vernichtender Argumente weitergeben, die die Anklagen deines Ehepartners wie einen präzise durchgeführten Luftangriff im Keim ersticken sollen. Du möchtest einen verbalen Gegenangriff starten und jeden Zentimeter verlorenen Bodens sofort wieder erobern. Und für den stechenden Schmerz deines verwundeten Stolzes forderst du handfeste Wiedergutmachungen. Sanftmut und Milde kannst du jetzt nicht gebrauchen. Die steckst du lieber in eine Kiste und lässt sie im Lager zurück. Du willst einfach nur noch in den Krieg ziehen.

In Kapitel 6 haben wir darüber gesprochen, wie die Vergebung bereitwillig die Kosten der Sünde begleicht, ohne Wiedergutmachung zu fordern. Was befähigt zu solch himmlischer Reaktion? Sanftmut!

Der sanftmütige Mensch versteht die biblischen Grundprinzipien der Kommunikation und bringt diese in der Ehe zur Anwendung.

  1. Wenn man verstimmt ist, sollte man besser nicht so schnell sprechen. „Der Unmut des Narren tut sich an demselben Tag noch kund, wer aber die Schmach verborgen hält, ist klug“ (Sprüche 12,16).
  2. Eine sanfte Antwort hat größere Kraft als eine zornige Zunge. „Eine sanfte Antwort wendet Grimm ab, aber ein kränkendes Wort erregt Zorn“ (Sprüche 15,1).
  3. Sanftes Reden fördert Leben, sei es im Gespräch oder im Konflikt. „Eine sanfte Zunge ist ein Baum des Lebens, aber eine falsche Zunge bricht das Herz“ (Sprüche 15,4).

Wahre Sanftmut hat neben der Absicht, die Sanftmut Christi widerzuspiegeln (2. Korinther 10,1), nur ein Ziel: Sie möchte den Partner dringend wieder mit Gott in Verbindung bringen.

Welche Absicht verfolge ich also und welche Motivation habe ich, wenn ich meinem Ehepartner seine Sünde bewusst machen möchte? Häufig sind die Beweggründe nicht unbedingt nobler Natur. Man kompensiert Sorgen, sichert sich Zugeständnisse, verbreitet Ängste und bestraft den, der uns verletzt hat. Solche falschen Motive können uns dazu bringen, vorschnell zu reden. Glaube mir, ich weiß, wovon ich rede! Aber das Ziel einer ‚chirurgischen‘ Unterhaltung ist nicht einfach die Glättung von Unebenheiten. Es ist die tiefe Sorge um unseren Seelenpartner und die ernste Absicht, ihn wieder mit Gott zu verbinden.

Vor Jahren bemerkten Kimm und ich ein Konfliktmuster, das durch die Art und Weise entstand, wie ich bei geistlichen ‚Operationen‘ mit ihr sprach. Ich sah meine Aufgabe im Wesentlichen darin, sie von meiner Meinung zu überzeugen, anstatt sie fürsorglich wieder mit dem Herrn zu verbinden. Ich meinte, eine mir passende Reaktion sicherstellen zu müssen, anstatt einfach nur meine Gedanken weiterzugeben und sie dann Gott zu überlassen. Aber was ich eigentlich tat, war, aus egoistischen Motiven meine Position und das Vertrauen meiner Frau zu missbrauchen. Von Sanftmut konnte gar keine Rede sein.

Sündigt dein Ehepartner, dann geht es dabei nicht zuerst um dich. Es mag dich in gewisser Weise betreffen, aber etwas anderes ist wichtiger: Die Sünde deines Ehepartners offenbart die Beziehung, die er zu Gott hat. Ein sanftmütiger Partner, der wirklich helfen möchte, wird diese Beziehung zu Gott zu seiner ersten Priorität machen. Er wird erkennen, dass die Hoffnung auf Veränderung in der Reaktion des Partners Gott gegenüber liegt und nicht in der Kapitulation ihm gegenüber. Deshalb muss der entscheidende Punkt bei jeder Korrekturbemühung sein, den Partner auf seine Herzensbeziehung zu Gott anzusprechen und ihn dann auch dem Herrn zu überlassen. Die Menschen, die wir lieben, müssen wissen, dass wir der Fähigkeit Gottes, zu uns durchzudringen und uns zu verändern, mehr vertrauen als unserer menschlichen Fähigkeit. Gott möchte sich selbst in unseren Ehen übergroß machen – so groß, dass wir in unserem gegenseitigen Tadeln mehr das heilende Handeln Gottes erkennen als unser eigenes Wirken. Mein Freund C.J. Mahaney nennt dies die Beweise der Gnade. „Dies bedeutet, aktiv danach Ausschau zu halten, welche Weisen Gott gebrauchen könnte, um im Leben von Menschen Veränderung zu wirken.“[7]

Gnade ist ein wichtiges Heilmittel im Operationssaal unserer Sünde. Sie liefert den Grund unserer Hoffnung und die Kraft zur Veränderung. Dieser Punkt ist so wichtig, dass wir noch ein ganzes Kapitel darauf verwenden werden. Bleib also dran! Bevor wir aber dieses Kapitel abschließen, möchte ich es noch einmal anders ausdrücken: Ein guter geistlicher Chirurg nimmt das Kreuz Christi direkt mit in den Operationssaal hinein. Es ist für ihn das erste und das letzte Instrument, das er für die Operation gebraucht. Damit öffnet er den Patienten und verschließt ihn auch wieder. Operationen sind nur dann erfolgreich, wenn wir die Menschen über ihre Probleme hinaus zu dem großen Arzt überweisen.

Nathan und David – zweiter Teil

Wir haben erfahren, dass Zurechtweisung wie ein chirurgischer Eingriff schwierig zu erlernen und noch schwieriger durchzuführen ist. Betreibt man sie ohne Weisheit, Mut und Milde, dann kann sie mehr Schaden anrichten als helfen, das Problem zu lösen. Aber als ein Ehemann, der Tadel in mancherlei Form erhalten und auch weitergegeben hat, kann ich dir dies sagen: Nur wenige Dinge waren für meine Ehe fruchtbarer als die gewissenhaften ‚Wunden‘, die mir meine Freunde und besonders mein bester Freund, nämlich meine Frau Kimm, zugefügt hat. Lasst uns dieses Kapitel beenden, indem wir einen Blick auf die letztendliche Auswirkung der ‚Wunden‘ werfen, die Nathan seinem Freund David ganz gewissenhaft zugefügt hat.

Mit Nathans Tadel war Gottes Erziehungsarbeit an David natürlich nicht beendet, aber er war ein Meilenstein auf seinem Weg mit dem Herrn. Davids persönlicher Tagebucheintrag über dieses Ereignis ist uns von Gott mit den Worten des 51. Psalms aufbewahrt worden – zur Ermutigung. Wir finden hier einen Mann, der in Demut die klare Überführung von Sünde erfährt und der begreift, dass seine Buße ein Werk Gottes ist, das durch die gewissenhafte Zurechtweisung eines Freundes zustande gekommen ist.

„Denn ich erkenne meine Vergehen, und meine Sünde ist stets vor mir. Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt und getan, was böse ist in deinen Augen; damit du im Recht bist mit deinem Reden, rein erfunden in deinem Richten. … Siehe, du hast Lust an der Wahrheit im Innern, und im Verborgenen wirst du mir Weisheit kundtun … Verbirg dein Angesicht vor meinen Sünden, und tilge alle meine Schuld! Erschaffe mir, Gott, ein reines Herz, und erneuere in mir einen festen Geist! Verwirf mich nicht von deinem Angesicht, und den Geist deiner Heiligkeit nimm nicht von mir! Lass mir wiederkehren die Freude deines Heils, und stütze mich mit einem willigen Geist!“ (Psalm 51,5.6.11-14).

Männer und Frauen Gottes sind zu allen Zeiten immer wieder zu Davids Bußpsalm zurückgekehrt, um dort den Glauben zu finden, den es braucht, um Gottes Disziplinierung in ihrem Leben willkommen zu heißen. Wie geht die Geschichte aber weiter? Was wurde aus David und Nathan? Hat diese Zurechtweisung ihre gegenseitige Beziehung beschädigt und ihr Vertrauen untergraben? Was hat diese souveräne Begegnung aus ihrer Freundschaft gemacht? Als am Ende seines Lebens Davids eigene Söhne gegen ihn standen, gab es noch einen Mann, der bei ihm geblieben war. Nathan, sein Freund, der Chirurg seiner Seele, war da – weise, mutig und sanftmütig, der Wahrheit und seinem Freund treu bis ans Ende.

Sie hatten eine Freundschaft, die in der Hitze ehrlicher Korrektur geformt worden war. Je länger ich lebe, umso mehr schätze ich die Nathansliebe meiner Frau, die mich stets auf den großen Arzt verweist, der mir in der Stunde der Not voller Gnade und Wahrheit immer wieder geholfen hat. Heiße den Nathan, den Gott dir durch das Geschenk der Ehe in dein Leben gesandt hat, herzlich willkommen!

  1. Tom Carter (Hrsg.). 2200 Quotes from the Writings of Charles Spurgeon. Baker Books: Grand Rapids, MI, 1988. S. 172.
  2. Matthew Henry. The Quest for Meekness and Quietness of Spirit. Soli Deo Gloria: Morgan, PA, 1997. S. 113.
  3. <J.I. Packer. Gott erkennen. Das Zeugnis vom einzig wahren Gott. Edition VLM im Verlag der St.-Johannis-Druckerei, 19944. S. 90 (Originaltitel: Knowing God. IVP: Downer’s Grove, IL, 1993).
  4. David Powlison, Suffering and the Sovereignty of God. Crossway Books: Wheaton, IL, 2006. S. 124.
  5. Vgl. www.reformation-heute.de/lutherthesen/index.html.
  6. A.W. Tozer. Gottes Nähe suchen. Hänssler-Verlag: Holzgerlingen, 2006. S. 114 (Originaltitel: The Pursuit of God. Christian Publications: Camp Hill, 2007).
  7. C.J. Mahaney. Humility, True Greatness. Multnomah: Sister, OR, 2005. S. 98.