Ganz aus Gnaden/Warum werden wir durch den Glauben gerettet?
Aus Biblische Bücher und Predigten
Von Charles H. Spurgeon
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Kapitel 10 des Buches Ganz aus Gnaden
Übersetzung von Oncken Verlag/Helmut Pohl
Warum wurde der Glaube zum Werkzeug des Heils bestimmt? Ohne Zweifel wird diese Frage oft gestellt. „Aus Gnaden seid ihr errettet durch den Glauben“ ist ganz gewiß eine biblische Lehre und eine Anordnung Gottes; aber warum ist es so? Warum ausgerechnet der Glaube; warum nicht Hoffnung, Liebe oder Geduld? Es steht uns wohl an, bei der Beantwortung einer solchen Frage Zurückhaltung zu üben, denn Gottes Wege sind nicht immer verständlich, und es steht uns nicht zu, sie vermessen in Frage zu stellen. Darum möchten wir demütig antworten, dass, soweit wir sagen können, der Glaube deshalb als das Werkzeug der Gnade erwählt wurde, weil er sich von Natur aus besonders gut eignet als Empfänger. Nehmen wir einmal an, ich wäre gerade dabei, einem Armen ein Almosen zu geben: Ich lege es in seine Hand hinein — warum? Es würde kaum sinnvoll sein, die Gabe in sein Ohr oder auf seinen Fuß zu legen. Die Hand scheint zum Empfangen gerade geschaffen zu sein. So ist im Bereich des Geistes der Glaube dazu geschaffen, Empfänger zu sein. Er ist die Hand des Menschen, und er eignet sich besonders zum Empfang der Gnade. Lass es mich mit ganz einfachen Worten sagen. Der Glaube, der Christus empfängt, ist ein so einfacher Vorgang, als wenn dein Kind von dir einen Apfel bekommt — du hältst den Apfel hin und versprichst dem Kind, ihn zu geben, wenn es kommt und ihn in Empfang nimmt. Bei diesem Beispiel beziehen sich Vertrauen und Annehmen zwar nur auf einen Apfel, aber es geht dabei um denselben Akt wie beim Glauben, der es mit der ewigen Errettung zu tun hat. Was die Hand des Kindes für den Apfel ist, das ist der Glaube für das vollkommene Heil in Christus. Die Hand des Kindes bringt nicht den Apfel hervor, verbessert ihn nicht, verdient ihn nicht — sie nimmt ihn nur an. So ist der Glaube von Gott dazu auserwählt, Heilsempfänger zu sein, weil er sich damit begnügt, das Heil demütig zu empfangen, und nicht vorgibt, das Heil zu schaffen oder dabei mitzuwirken. „Der Glaube ist die Zunge, die um Vergebung bittet, die Hand, welche sie empfängt, und das Auge, welches sie sieht; aber er ist nicht der Preis, der sie erkauft.“ Der Glaube vertritt sich niemals selbst, er beruft sich allein auf das Blut Christi. Er ist darum ein guter Diener, der der Seele die Reichtümer des Herrn Jesus bringen kann, weil er anerkennt, aus welcher Quelle er sie hat, und zugibt, dass die Gnade allein sie ihm anvertraut hat. Zweifellos ist der Glaube auch deshalb zum Werkzeug des Heils ausersehen, weil er alle Ehre Gott gibt. Die Gnade wird uns durch den Glauben zuteil und sie verhindert, dass wir uns rühmen, denn Gott kann den Stolz des Menschen nicht ertragen. „Er kennt den Stolzen von fern“ (Psalm 138, 6) und hat kein Verlangen, ihm näher zu kommen. Gott will das Heil auf keinen Fall so geben, dass der Stolz geweckt oder gefördert wird. Paulus sägt: „nicht aus den Werken, auf dass sich niemand rühme“ (Epheser 2, 9). Der Glaube schließt allen Selbstruhm aus. Die Hand, die ein Almosen in Empfang nimmt, sagt nicht: „Ich verdiene Dank, dass ich die Gabe angenommen habe.“ Das wäre absurd. Wenn die Hand Speise zum Munde führt, so spricht sie nicht zum Körper: „Danke mir, denn ich ernähre dich!“ Was die Hand tut, ist etwas Schlichtes, wenn auch sehr Notwendiges, und sie bildet sich nichts darauf ein. Darum hat Gott den Glauben erwählt, die unaussprechliche Gabe seiner Gnade zu empfangen, weil er nicht auf seine eigene Ehre bedacht ist, sondern den gnädigen Gott, den Geber aller guten Gaben, anbeten muß. Der Glaube setzt die Krone auf das rechte Haupt. Darum setzt der Herr Jesus die Krone auf das Haupt des Glaubens mit den Worten: „Dein Glaube hat dir geholfen; gehe hin mit Frieden!“ (Lukas 7, 50). Ferner erwählt Gott den Glauben zum Werkzeug des Heils, weil man sich darauf verlassen kann, dass er den Menschen mit Gott verbindet. Wenn der Mensch Gott vertraut, so ist das eine Vereinigung zwischen ihm und Gott, und diese Vereinigung verbürgt Segen. Der Glaube errettet uns, weil er uns veranlasst, uns an Gott zu klammern, und uns somit in Verbindung mit ihm bringt. Ich habe das häufig mit folgendem Beispiel zu erklären versucht und wiederhole es, weil mir kein besseres einfällt: Vor Jahren kenterte oberhalb der Niagarafälle ein Boot. Die beiden Insassen wurden auf den tosenden Wasserfall zugetrieben. Da gelang es einigen Leuten, den Schiffbrüchigen vom Ufer aus ein Seil zuzuwerfen. Der eine Schiffbrüchige klammerte sich daran fest und wurde sicher ans Land gezogen. Der andere aber sah einen großen Baumstamm vorbeitreiben, ließ das Seil fahren und klammerte sich an den Baumstamm, weil er größer war und ihm zuverlässiger erschien. Doch der Stamm mit dem Mann daran wurde in den tiefen Strudel hinabgetrieben. Denn es bestand keine Verbindung zwischen ihm und dem Ufer. Die Größe des Baumstammes brachte ihm kein Glück; es fehlte die Verbindung mit dem Ufer, um Rettung zu bringen. So wird ein Mensch, der auf seine Werke, auf Sakramente oder irgend etwas Derartiges vertraut, nicht gerettet werden, weil keine Verbindung besteht zwischen ihm und Christus. Aber der Glaube, mag er auch wie ein dünnes Seil erscheinen, liegt auf der Uferseite in den Händen des großen Gottes; unerschöpfliche Macht zieht das verbindende Seil heran und reißt so den Menschen aus dem Verderben heraus. Welch ein Segen liegt doch im Glauben, da er uns mit Gott vereinigt! Auch deshalb wurde der Glaube erwählt, weil er die Wurzel der Aktivität ist. Selbst in ganz gewöhnlichen Dingen liegt eine gewisse Art von Glauben allem Tun zugrunde. Ich glaube kaum, dass ich unrecht habe, wenn ich behaupte, dass wir niemals etwas tun ohne Glauben in irgendeiner Form. Wenn ich in meinem Studierzimmer auf und ab gehe, dann tue ich es, weil ich glaube, dass meine Beine mich auch tragen. Der Mensch ißt, weil er davon überzeugt ist, dass Nahrungsaufnahme notwendig ist. Er geht seinen Geschäften nach, weil er an den Wert des Geldes glaubt. Er nimmt einen Scheck an, weil er davon überzeugt ist, dass die Bank ihn einlösen wird. Columbus entdeckte Amerika, weil er glaubte, dass jenseits des Ozeans ein anderer Erdteil liegt, und die Pilgerväter ließen sich dort nieder in der Gewissheit, dass Gott auch an diesen felsigen Ufern mit ihnen sein würde. Die meisten großen Taten sind aus dem Glauben geboren. Im Guten oder im Bösen wirkt der Glaube Wunder durch den Menschen, in dem er wohnt. Der Glaube ist schon in seiner natürlichen Gestalt eine alles beherrschende Kraft, die alle menschlichen Handlungen beeinflußt. Möglicherweise besitzt der, der sich über den Glauben an Gott lustigmacht, besonders viel Glauben negativer Art. Tatsächlich verfällt solch ein Mensch für gewöhnlich einer Leichtgläubigkeit, die lächerlich wirkte, wäre sie nicht beschämend. Gott gibt das Heil dem Glauben, weil er, indem er den Glauben hervorruft, die Haupttriebfeder unseres Fühlens, Wollens und Handelns berührt. Er hat sozusagen die Batterie in Besitz genommen und kann nun den heiligen Strom in jeden Teil unseres Wesens schicken. Wenn wir an Christus glauben und Gott unser Herz in Besitz genommen hat, dann sind wir errettet von Sünden und werden angetrieben zu Buße, Heiligkeit, Eifer, Gebet, Hingabe und zu allen anderen Dingen, die Gottes Gnade gewährt. „Was Öl für die Räder ist, Gewichte für die Uhr, Flügel für den Vogel und Segel für das Schiff sind, das ist der Glaube für alle heiligen Pflichten und Dienste.“ Habe Glauben, so werden alle anderen Gnaden folgen und bei dir bleiben. Der Glaube hat ferner die Macht, durch Liebe zu wirken. Er macht uns Gott zugeneigt und lenkt das Herz auf die besten Dinge. Wer an Gott glaubt, wird ohne alle Frage auch Gott lieben. Glaube ist ein Akt des Verstehens, aber er kommt aus dem Herzen. „So man von Herzen glaubt, so wird man gerecht“ (Römer 10, 10). Deshalb schenkt Gott dem Glauben Rettung, weil er in unmittelbarer Nachbarschaft unserer Neigungen wohnt und ein enger Verwandter der Liebe ist. Und die Liebe ist die Mutter und Pflegerin aller heiligen Gefühle und Handlungen. Liebe zu Gott ist Gehorsam, Liebe zu Gott ist Heiligkeit. Gott und den Nächsten lieben, das bedeutet, dem Bilde Christi gleich sein; und dann ist man errettet. Überdies schafft der Glaube Friede und Freude. Wer ihn hat, der kommt zur Ruhe und ist gelassen, fröhlich und freudig; und dies ist eine Vorbereitung für den Himmel. Gott schenkt dem Glauben alle himmlischen Gaben, unter anderem deshalb, weil der Glaube in uns das Leben und den Geist wirkt, die einmal in Ewigkeit offenbar werden sollen, in der oberen und besseren Welt. Der Glaube versieht uns mit Waffen für dieses Leben und erzieht uns für das Kommende. Er befähigt den Menschen, furchtlos zu leben und zu sterben, er macht bereit zum Handeln und zum Leiden. Deshalb wählt ihn der Herr als ein besonders geeignetes Mittel aus, um uns die Gnade mitzuteilen und uns dadurch der Herrlichkeit zu versichern. Ohne Zweifel tut der Glaube für uns, was sonst niemand für uns tun kann. Er gibt uns Freude und Frieden und läßt uns in die Ruhe Gottes eingehen. Warum versuchen die Menschen dann noch, das Heil auf andere Weise zu erlangen? Ein betagter Geistlicher erzählte einmal folgendes Beispiel: „Ein etwas einfältiger Diener bekam den Befehl, eine Tür zu öffnen. Statt es mit dem Schlüssel zu tun, stemmte er seine Schulter mit aller Gewalt dagegen; doch umsonst. Darauf kam ein zweiter Diener mit dem Schlüssel, schloß die Tür mühelos auf und trat ein.“ Wer durch eigene Werke gerettet werden will, rüttelt vergebens an der Pforte des Himmels. Der Glaube ist der Schlüssel, der die Tür sofort öffnet. Lieber Leser, willst du nicht den Schlüssel gebrauchen? Der Herr gebietet dir, an seinen lieben Sohn zu glauben. Deshalb darfst du es auch tun; und wenn du es tust, dann sollst du leben. Ist es uns nicht im Evangelium verheißen: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden?“ (Markus 16, 16). Was hast du gegen den Heilsweg einzuwenden, den die Barmherzigkeit und Weisheit unseres gnädigen Gottes bestimmt hat?